Thema des Tages

15-10-2021 07:50

Die Tiefen eines Gletschers

Mal sind sie breit, mal schmal; mal haben sie gefrorene Wasserfälle,
mal fantastische Eisformationen. Doch eines sind Gletscher-Eishöhlen
immer: Faszinierend. Ein kleiner Einblick in ihre Entstehung...

Die meisten Berg- oder Wintersportler waren schon mal auf einem,
andere möchten vielleicht noch hin (bevor es zu spät ist..) - die
Rede ist von Gletschern. Doch die wenigsten vermuten, was für eine
spannende und faszinierende Welt sich unter den eigenen Füßen auftut
- im Herzen eines Gletschers: Verschiedenste Eishöhlen und -grotten,
mal mit breiten Gängen, mal mit gerade einmal kaninchenlochgroßen
Durchgängen. Mal sind die Wände bedeckt mit sternförmigen Plättchen,
prismenartigen Säulen oder Nadeln als Eiskristallen, mal sind die
Wände aalglatt. Da fragt man sich zurecht: Wie können diese
Wunderwerke entstehen?

Fangen wir von vorne, und ganz simpel an: Gletscher entstehen, wenn
im Winter mehr Schnee fällt, als im Sommer wegschmilzt. Die
Schneedecke wird durch mehrere Schneefallereignisse also immer dicker
und schwerer und unter dieser Last werden die lockeren Schneeflocken
mit der Zeit erst zu körnigem Firn und dann zu dichtem Eis gepresst.
Die so entstehenden Schichten sind dabei ähnlich wie die Jahresringe
eines Baumes ein gigantisches Klimaarchiv: Wenn man einen Eiskern aus
einem Gletscher bohrt, zeigen sich die einzelnen Schichten wie auf
einer Zeitreihe. Die ältesten Schichten sind ganz unten und die
neuesten ganz oben. Dabei gibt es große Unterschiede in den einzelnen
Schichten: Während manche unzählige Luftbläschen aufweisen, sind
andere klar und glasig. Wieder andere Schichten sind voll mit Kies
und Schmutz und erzählen damit die Geschichte von Erdrutschen oder
Lawinen.

Diesen Blick in die Vergangenheit kann man hautnah in Eishöhlen im
Inneren eines Gletschers erleben. Meistens entstehen solche
Eishöhlen, wenn im Sommer das Eis an der Oberfläche schmilzt und sich
das Schmelzwasser seinen Weg durch den Gletscher bahnt, durch Risse
und Spalten läuft und so den Gletscher "aushöhlt". Man spricht in
diesem Fall von einem "warmbasalen" Gletscher, wie sie beispielsweise
in den Alpen vorkommen.

Es gibt aber auch polare, sogenannte "kaltbasale" Gletscher (die
detaillierten Unterschiede der beiden Gletscherarten würde an dieser
Stelle zu weit führen). Sie sind beispielsweise auf Spitzbergen zu
finden, wo mehr als die Hälfte der Fläche von Gletschereis bedeckt
ist. Das Gletschereis dort ist so kalt, dass das Schmelzwasser nicht
direkt durch das Eis nach unten laufen kann, sondern zunächst entlang
der Oberfläche fließt. Nur sehr langsam werden Kanäle in das Eis
"geschnitzt", die unmittelbar an die Oberfläche angrenzen. Manche
Kanäle schaffen sich dann einen Weg zum Boden des Gletschers und
formen so Eishöhlen, die in ihrer Art sehr besonders sind. Im Winter
fallen diese Schmelzwasserhöhlen trocken. Dann können sie begangen
(bzw. bei den oben erwähnten kaninchenlochgroßen Durchgängen
bekrochen) werden und bieten faszinierende Einblicke in das Innere
eines Gletschers (siehe Fotos).

Und wenn Sie das nächste Mal auf einem Gletscher stehen, können Sie
sich vielleicht ein klein wenig besser vorstellen, welch imposante
Eiswelt sich unter Ihren Füßen verbirgt und wie sie entstanden ist.
Wobei sich neben das Gefühl der Faszination, angesichts der
Nachrichten, dass sich die Arktis dreimal schneller erwärmt als der
Rest der Welt und dass sich auch die Gletscher in den Alpen immer
weiter zurückziehen, noch ein anderes Gefühl schleichen könnte: Das
der Kostbarkeit.

Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.10.2021

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