Thema des Tages

29-10-2021 09:50

Kalte Schale, warmer Kern: Im Auge des Sturms APOLLO

Im Mittelmeer sorgt Tief APOLLO für heftige Regenfälle, Sturm und
hohen Wellengang, vor allem Sizilien wird stark getroffen. Aufgrund
der tropensturm-ähnlichen Eigenschaften des Sturms wird er auch als
"Medistorm" oder "Medicane" bezeichnet.

Bereits Anfang dieser Woche waren in den Medien zahlreiche Fotos und
Videos von heftigen Überschwemmungen auf Sizilien zu sehen. Straßen
in der Hafenstadt Catania verwandelten sich in reißende Flüsse,
nachdem dort in nur 48 Stunden die durchschnittliche jährliche
Niederschlagsmenge (knapp 600 l/qm) gefallen war.

Während sich die Situation in den letzten Tagen etwas entspannte, war
diese Beruhigung - man könnte sagen - trügerischer Natur oder "nur
die Ruhe vor dem (nächsten) Sturm". Denn bereits am gestrigen
Donnerstag sorgten neue Unwetter auf Sizilien für abermalige heftige
Regenfälle mit 100-200 l/qm in 24 Stunden, die noch bis Samstagabend
andauern werden.

Der Verursacher ist auf dem Satellitenbild schnell zu erkennen:
Südöstlich von Sizilien wirbelt das Tiefdruckgebiet APOLLO, das sich
in den kommenden Stunden weiter verstärkt und vor allem von den
Medien auch gerne als "Medicane" bezeichnet wird. Doch wie kam es zu
der Sturmbildung und welche Eigenschaften hat dieses
tropensturm-ähnliche Tief?

Es war Donnerstagmorgen, als sich ein Höhentief von der
"Westwindautobahn" der mittleren Breiten löste und begann, über dem
Mittelmeer östlich von Malta seine Kreise zu ziehen. Da sich mit dem
Höhentief Kaltluft über das sehr warme Meereswasser schob, stellte
sich ein starker vertikaler Temperaturgradient ein. Diese rasche
Temperaturabnahme mit der Höhe ermöglichte vertikale Umlagerungen in
Form von Schauern und Gewittern.

Durch die Gewittertätigkeit unter dem sich kaum verlagernden
Höhentief wurde und wird die Luft zum einen immer feuchter. Zum
anderen wird in dem Gewittersystem Luft von unten nach oben befördert
und nach außen weg transportiert, sodass der Luftdruck über der
Meeresoberfläche sinkt.

Diese beiden Vorgänge verstärken bereits das Tief - doch es kommt
noch ein weiterer Effekt hinzu: Eine geringe vertikale Windscherung.
Das bedeutet, dass die Unterschiede zwischen den
Windgeschwindigkeiten und -richtungen in verschiedenen Luftschichten
nur gering sind. Eine solche geringe vertikale Windscherung hilft,
eine gebündelte zirkulare Struktur zu erhalten. Wäre die Windscherung
zu stark, würde es den Sturm "zerreißen" und ihn angreifbar machen
für trockenere Luftmassen aus der Umgebung.

So aber können sich die Schauer und Gewitter spiralförmig um das Tief
herum anordnen und es nochmals deutlich verstärken. Die immer
schneller um den Tiefkern rotierende "Gewitterspirale" erinnert dabei
schon rein optisch an einen tropischen Wirbelsturm. Doch auch
thermodynamisch hat das System Ähnlichkeit mit einem tropischen Sturm
wie einem Hurrikan: Zum einen lässt sich ein warmer Kern bis in die
höheren Troposphärenschichten finden (bedeutet: die Temperatur im
Zentrum ist in allen Höhenschichten wärmer als in ihrer Umgebung.
Dadurch findet dort Wolkenauflösung statt und es ergibt sich ein
wolkenarmes "Auge"). Zum anderen gibt es keine Warm- und Kaltfronten
- wie es bei ?normalen Tiefs? der mittleren Breiten der Fall ist.

Bei solchen Tiefdrucksystemen über dem Mittelmeer, die anfangs vor
allem außertropische, später zunehmend tropische Eigenschaften
aufweisen, wird auch von einem "Medistorm" (mediterranean tropical
storm) gesprochen - oder, vor allem in den Medien, auch von einem
"Medicane" - einer Wortzusammensetzung aus "mediterranean" und
"Hurricane".

Und wie geht es weiter? APOLLO zieht am morgigen Samstag gen Süden ab
und trifft am Sonntagabend bei Bengasi auf die Küste Libyens. Dort
sind ebenfalls Sturmböen, Starkregen und hoher Wellengang bis 3 m
möglich, nach jetzigem Stand schwächt sich der Sturm jedoch insgesamt
ab.

Auch wenn Hochdruckwetter für uns Meteorologen und Wetterberaterinnen
normalerweise eher in die Kategorie "langweilig" fällt, so ist man in
Anbetracht der derzeitigen Bilder aus Sizilien doch ziemlich froh um
des ruhigen, warnarmen Wetters hierzulande...



Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.10.2021

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