Thema des Tages

17-01-2022 09:50

Von "warmen Nasen" und unterkühlten Tropfen

Die Niederschlagsphase ist einer der wichtigsten Faktoren der
Wettervorhersage in den Wintermonaten: Fällt Regen oder Schnee oder
sogar gefrierender Regen mit erheblichen Auswirkungen zum Beispiel im
Straßenverkehr? Ein spannendes und durchaus immer wieder schwieriges
Thema...

Eine Fragestellung, die sich mit der Erscheinungsform des
Niederschlages beschäftigt, nämlich "Wann schneit es eigentlich?"
bzw. "Wie bestimmt man eigentlich die Schneefallgrenze?", wurde Mitte
Dezember vergangenen Jahres in einem Thema des Tages bereits
behandelt
(https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/12/18.html).

Ein nicht zu vernachlässigender Aspekt bei einer Aussage darüber, in
welcher Form oder genauer in welchem Aggregatzustand der Niederschlag
fällt und was damit am Boden passiert, ist die Betrachtung der
Temperatur- und Feuchteverhältnisse in der Atmosphäre bzw. in dem
Bereich der Atmosphäre, in dem der Niederschlag gebildet wird und
durch den er zu Boden fällt. Und dann schließt sich natürlich die
Frage an, was passiert mit dem Niederschlag beim Auftreffen auf den
Erdboden.

Niederschlag wird in Bereichen der Atmosphäre gebildet, in denen
Sättigung herrscht - wichtig dabei sind die Temperaturverhältnisse in
diesem Bereich.
Die Bildung von Niederschlag findet im Wesentlichen über die Eisphase
statt und wird mit dem sogenannten Bergeron-Findeisen-Prozess
beschrieben: Große Tropfen werden in Mischwolken in einem
Temperaturbereich zwischen -10 und -35 Grad gebildet, in denen
Wassertröpfchen und Eiskristalle nebeneinander existieren. Die
Eiskristalle wachsen auf Kosten der Wassertröpfchen an, werden immer
größer und fallen schließlich irgendwann zu Boden. Fallen diese
Eiskristalle dann durch warme Luftschichten über dem Gefrier- bzw.
Schmelzpunkt von 0 Grad, schmelzen sie und kommen als (große)
Regentropfen am Boden an.

Ob allerdings ein Schmelzen stattfindet, liegt am Temperaturverlauf
in der Atmosphäre. Dieser kann insbesondere im Winterhalbjahr
natürlich auch unterhalb von 0 Grad verbleiben oder nur vorübergehend
mal darüber liegen: Liegt die Temperatur in der gesamten unteren
Atmosphäre, durch die die Eiskristalle fallen, unterhalb der
0-Grad-Marke, kommen auch Eiskristalle am Boden an, es fällt also
Schnee (siehe Abbildung unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/1/17.html, linke
Grafik). Steigt die Temperatur zwar über den Gefrierpunkt, aber nur
in einem gewissen Bereich oder kurzzeitig, kommt es hinsichtlich der
Niederschlagsphase am Boden entscheiden auf die Größe der
"Schmelzschicht" und auf deren Lage bzw. Höhe in der Atmosphäre an.

Und hier sind wir dann endlich bei dem in der Überschrift erwähnten
Begriff der "warmen Nase". Schaut man sich nämlich den Verlauf der
Temperatur mit der Höhe an (Stichwort Vertikalprofil oder
Radiosondenmessung), so sieht eine warme Schicht mit Temperaturen
über 0 Grad, die nicht am Boden aufliegt (siehe Abbildung rechts),
aus wie eine Nase... Ist diese warme Nase groß genug, schmelzen die
durch diese warme Schicht fallenden Eiskristalle und es werden
Wassertropfen daraus. Unterhalb der warmen Nase kann nun die Luft
über dem Gefrierpunkt temperiert sein, dann bleiben es bis zum Boden
warme Regentropfen. Gehen die Temperaturen unterhalb der Nase wieder
auf unter 0 Grad zurück, ergeben sich unterkühlte Wassertropfen. Ist
die sogenannte kalte Grundschicht sehr mächtig, können die
unterkühlten Wassertropfen auch wieder gefrieren, dann bilden sich
allerdings keine schönen Eiskristalle mehr, sondern es entstehen
Eiskörner.

Findet die Bildung von Niederschlagsteilchen in einer Umgebung statt,
die wärmer ist als -10 Grad, z. B. in einer relativ "tiefen"
Stratusbewölkung oder in einer Hochnebelschicht (siehe Abbildung
Mitte), dann erfolgt die Bildung im Wesentlichen ohne Eisphase. Es
sind also keine Eispartikel vorhanden, die auf Kosten der
Wassertröpfchen anwachsen, daher entstehen viele kleine Tröpfchen. Am
Boden kommen diese dann als kleintropfiger Regen bzw. Sprühregen an.
Auch für Sprühregen muss besonders im Winterhalbjahr das
Temperaturprofil der "durchflogenen" Luftschicht berücksichtig
werden. Herrschen in der gesamten Schicht Temperaturen unterhalb von
0 Grad, handelt es sich um unterkühlte Tröpfchen, die gegebenenfalls
zu gefrierendem Sprühregen führen können.

Nicht zuletzt ist auch die Temperatur des Bodens, auf den der
Niederschlag fällt, von Bedeutung und damit die
"Wettervorgeschichte": Zu Beginn des Winters mit noch warmen Böden
passiert beim Auftreffen unterkühlter Tropfen nichts. Mit
fortschreitender Jahreszeit und nach den ersten Frostphasen gehen die
Temperatur im Boden zurück, nach einer längeren Frostperiode dringt
der Frost mehr und mehr in den Boden ein. Die Wärmekapazität des
Bodens ist deutlich höher als die der Luft, d.h. er reagiert träger
auf Temperaturänderungen der darüberliegenden Luft und es dauert so
wie beim langsameren Abkühlen des Bodens auch wieder länger, bis
dieser sich erwärmt. Fällt nun also Regen oder Sprühregen auf
gefrorenen Boden, kann sich eine Eisschicht und damit Glatteis
bilden. Man spricht hier auch von gefrierendem Regen oder Sprühregen.
Das ist besonders tückisch, wenn die Lufttemperatur (und das
Autothermometer) bereits einige Plusgrade zeigt, der Frost aber noch
im Boden "steckt". Besonders rasant geht dieser Gefrierprozess bei
den beschriebenen unterkühlten Tropfen, die beim Auftreffen auf kalte
Gegenstände oder den kalten Erdboden spontan gefrieren und so zu
erheblicher Glätte führen können. Der Boden oder auch kalte
Gegenstände wirken hier wie Eiskerne in den Wolken, die das Gefrieren
wie ein Katalysator begünstigen.


Dipl.-Met. Sabine Krüger
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.01.2022

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