Thema des Tages

11-02-2022 09:20

Unfallträchtige Lawinentage in den Alpen


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Viel Neuschnee und nachfolgendes sonniges Wetter führten am
vergangenen Wochenende zu einer hohen Zahl von Lawinenunglücken in
den Alpen. Wir blicken auf die angespannte Lage zurück und nehmen den
kritischen Schneedeckenaufbau unter die Lupe.

In den Alpen ereigneten sich traurigerweise seit vergangenem Freitag
mehrere tödliche Lawinenunfälle. Dabei waren von Freitag bis Sonntag
insgesamt elf Tote zu beklagen, acht davon allein in Tirol. Bei der
Auslösung von teils großen Schneebrettlawinen kamen am Fließer Berg
in der Samnaungruppe fünf, bei der Breitegg-Spitze in den westlichen
Kitzbühler Alpen zwei und bei der Gammerspitze im Schmirntal in den
nördlichen Zillertaler Alpen ein Wintersportler ums Leben. Auch in
den Berchtesgadener Alpen wurden am vergangenen Samstag zwei
Skitourengeher von einer Schneebrettlawine am Steintalhörndl
mitgerissen, wobei einer nur noch tot geborgen werden konnte. Zwei
Lawinenopfer waren zudem in Vorarlberg und im Schweizer Kanton Wallis
zu beklagen. Ein weiterer Lawinenunfall ereignete sich schließlich am
Dienstag im Langtauferer Tal, einem Seitental des oberen Vinschgaus
an der Grenze zu Österreich, bei dem ein deutscher Skitourengeher
verschüttet wurde und an der Unfallstelle verstarb.

Die hohe Zahl der Lawinenunfälle ist dabei auf eine Kombination
verschiedener Faktoren zurückzuführen. Einer der entscheidenden
Faktoren war das Wetter in der vergangenen Woche, dass in den
Nordalpen zu einem ungünstigen Schneedeckenaufbau führte. Nach einer
längeren schneearmen Zeit stellte sich die großräumige Wetterlage auf
das Muster "Nordwest zyklonal" (mehr Infos zu dieser Wetterlage
unter: https://t1p.de/sjbj). Insbesondere die aufeinanderfolgenden
Tiefs "Odette" und "Philine" luden mit ihren Frontensystemen
reichlich Schnee in den Nordwest- und Nordstaulagen der Alpen ab.
Neuschneemengen von teils einem halben bis über einen Meter kamen
dabei zusammen. Insbesondere in einigen Hochlagen von der
Silvretta-Arlbergregion über die Lechtaler Alpen bis zum Karwendel
konnten sich staubedingt durchaus auch um 1,5 bis knapp 2 Meter
Neuschnee akkumulieren. Problematisch während der
Niederschlagsperiode war zudem der stürmische Nordwestwind, der den
frischen Neuschnee mächtig verlagerte und so für teils großen
Triebschneeansammlungen sorgte. Innerhalb der vom Wind geformten
Triebschneepakete weisen die Schneekristalle eine hohe Bindung auf
und bilden somit gefährliche Schneebretter aus. Zudem fand auch zum
Ende der Niederschlagsperiode und auch in der zweiten Wochenhälfte
eine Erwärmung statt, wodurch sich die Neuschneedecke weiter
verdichten konnte.

Ein weiterer ungünstiger Faktor für die Lawinensituation war zudem
die Altschneeoberfläche, auf der sich der Neu- und Triebschnee
ablagerte. So wiesen die aufgenommenen Schneeprofile an den
Lawinenanrissen eine Schwachschicht aus kantigen Kristallen unterhalb
einer dünnen Schmelzharschschicht auf, welche sich vor der letzten
Schneefallperiode flächig gebildet hatte (siehe Abbildung 1:
Schneeprofil vom Lawinenanriss am Fließer Berg in der Samnaungruppe).
Da die Schwachschicht großflächig und oft gleichmäßig vorhanden war,
ermöglichte alleine die Zusatzbelastung durch einzelne oder mehrere
Wintersportler eine großflächige Bruchfortpflanzung und somit das
Auslösen von mittelgroßen bis großen Schneebrettlawinen (für mehr
Details zu Schneebrettlawinen siehe Thema des Tages vom 22.01.2020:
https://t1p.de/r9kt).

Die Lawinengefahrenstufe wurde dementsprechend zunächst nach dem
Neuschneeereignis von den Lawinenwarndiensten auf große Gefahr der
Stufe 4 gesetzt. Zum vergangenen Freitag wurde sie auf die erhebliche
Gefahrenstufe (Stufe 3) zurückgenommen. Bei sonnigem und mildem
Wetter trieb es am vergangenen Wochenende viele Wintersportler und
Skitourengeher in die Berge. Die Kombination von schönem Wetter und
heikler Lawinensituation bildete dabei den Nährboden für die vielen
tödlichen Unglücke. Statistisch gesehen passieren zwei Drittel aller
Lawinenunglücke bei Gefahrenstufe 3.

Von Sonntag auf Montag brachte dann die Kaltfront von Sturmtief
"Roxana" in den Nordalpen erneut starken Schneefall. Teils gab es 20
bis 40 Zentimeter Neuschnee. Problematisch erwies sich wiederum der
Wind, der mit Sturm- und schweren Sturmböen, auf den Gipfeln auch mit
vollem Orkan erneut für gefährliche Triebschneeansammlungen sorgte.
Nachfolgend setzte und verfestigte sich bei Hochdruckeinfluss und
deutlicher Erwärmung unter der Woche die Schneedecke, wodurch die
Lawinengefahr in den Nordalpen auf die mäßige Stufe 2 zurückgenommen
werden konnte. Lediglich in den zentralen Gebirgsgruppen oberhalb
etwa 1600 m besteht weiterhin eine erhebliche Gefahrenstufe. Generell
bleiben Bereiche mit Triebschneeansammlungen aber weiter
störanfällig. Oft reicht schon ein einzelner Skifahrer zur Auslösung
des Schneebrettes, wie etwa am gestrigen Donnerstag in den Allgäuer
Alpen am Grießgrundkopf geschehen (siehe Abbildung 2).

Am heutigen Freitag bringt eine Kaltfront bei teils stürmischem Wind
nochmal etwa 5 bis 15 Zentimeter Neuschnee in der Nordalpenregion.
Die Lawinengefahrenlage bleibt daher weiter mäßig bis erheblich
(Stufe 2 bis 3). Nachfolgend fließt polare Kaltluft ein, die am
Wochenende unter Hochdruckeinfluss gerät. Zwar sinken die
Temperaturen, aber an der derzeitigen Lawinengefahr dürfte sich
vorerst kaum etwas ändern. Zur Gefahrenvermeidung gilt es dennoch,
als Wintersportler ein gutes lawinenkundliches Beurteilungsvermögen
mitzubringen und auf eine defensivere Routenwahl mit Meidung von
steilen Hanglagen zu setzen.


M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.02.2022

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