Thema des Tages

08-03-2022 09:20

Mythos Kaventsmann (Teil 1)


Seemannsgarn oder doch Realität? Ein kleiner Abriss über die Existenz
und Natur von Monsterwellen.


Kaventsmänner oder Monsterwellen wurden lange als Seemannsgarn
abgetan. Als Mythos von verwirrten Seemännern ähnlich wie
Meerjungfrauen oder Riesenkraken. Dabei wurden aufgrund des optischen
Eindrucks bereits drei verschiedene Typen von Monsterwellen bestimmt:
Die "Drei Schwestern" (mehrere große Wellen die direkt aufeinander
folgen), die durch eine Schaumkrone geprägte "Weiße Wand" und der
Kaventsmann.

Als Kaventsmann wird eine einzelne gigantische Welle bezeichnet, die
mindestens doppelt so hoch ist wie seine umgebenden Wellen und auch
in ihrer Bewegungsrichtung vom vorherrschenden Seegang abweichen
kann. Zahlreiche Schiffunglücke sind vermutlich auf Kaventsmänner
zurückzuführen. So zum Beispiel der Untergang des Frachtschiffs
"München" im Dezember 1978 auf dem Weg von Bremerhaven in die USA.
Nördlich der Azoren entwickelte sich ein heftiger Sturm, der das Meer
aufwühlte. Es herrschte Windstärke 11 im Mittel, die Wellen wogten
rund 15 Meter hoch. Das ist die Wellenhöhe, die lange Zeit als
maximal möglicher signifikanter Seegang galt. Doch eine Welle ragte
vermutlich noch deutlich darüber hinaus und schlug die Fenster der
Schiffsbrücke ein. Der Frachter war über mehrere Stunden
manövrierunfähig und sank schließlich etwa 30 Stunden später in die
Tiefen des Meeres ab.

Auch die Zunahme des Schiffsverkehrs führte dazu, dass immer häufiger
Monsterwellen beobachtet wurden. Eine der vermutlich größten
aufgezeichneten Wellen wurde dem Kreuzfahrtschiff MS "Bremen" zum
Verhängnis. Das Schiff der Hapag-Lloyd geriet 2001 auf dem Weg von
Südgeorgien (Antarktis) nach Brasilien in einen heftigen Sturm. Über
dem Südatlantik baute sich eine extrem hohe Welle auf und schlug dort
ebenfalls die Brückenfenster ein. Aus dem Logbuch geht hervor: 22.
Februar 2001: "Unsere harmonische Seereise wird heute jäh
unterbrochen. Um ca. 6.20 Uhr erlitten wir bei sehr schwerer See
einen Seeschaden. Ein großer Brecher (Seeschlag) von ca. 35 m Höhe
zerstörte das Brückenfenster, wodurch viel Wasser in den Brückenraum
eindrang. Ca. 35 Min. ist das Schiff manövrierunfähig, dann konnte
die Situation glücklicherweise wieder unter Kontrolle gebracht
werden; Verletzte gab es nicht ..." Das Schiff konnte sich sicher in
den nächsten Hafen retten. Der Logbucheintrag führt einem jedoch die
Gewalt des Meeres vor Augen und lässt einen über die Geschichten
alter Seemänner nochmals nachdenken.

Trotz vieler Schiffsunglücke und Berichten von Überlebenden fehlten
lange Zeit die Beweise für die Existenz solcher Giganten der Ozeane.
1995 war es dann aber soweit. Am Neujahrstag befand sich ein
Zentraltief mit Zentrum über Südschweden. An dessen Westflanke
peitschte ein Randtief über die nördliche Nordsee. Dieses verlagerte
sich weiter südwärts und entwickelte sich dabei zum Orkan. Der Orkan
blies kalte Luft polaren Ursprungs entlang der Westküste Norwegens
nach Süden. Bei einem signifikanten Seegang von 11 bis 12 Metern
verzeichnete die Draupner-Bohrinsel vor der Westküste Norwegens mit
Hilfe eines Lasers eine Monsterwelle von 25,6 Metern Höhe. Dabei
breitete sich die Dünung im 80° Winkel zur Windsee aus (siehe Link
zum DWD-Wetterlexikon). Mit etwa 100 km/h verlagerte sich die Welle
südwärts und erreichte etwa sieben Stunden später den Seenotkreuzer
"Alfried Krupp" der sich westlich von Borkum befand. Das Boot geriet
selbst in Seenot. Zwei Besatzungsmitglieder kamen dabei ums Leben.

Die Draupner-Welle ist der erste tatsächlich objektiv gemessene
Kaventsmann und brachte somit eine Wende in die Erforschung von
Monsterwellen. Der Mythos ist kein Mythos mehr, sondern eine
faszinierende, zerstörerische und messbare Erscheinung. Ob man
vielleicht irgendwann mal noch Meerjungfrauen sichtet?

Mehr zum Thema Monsterwellen im morgigen Thema des Tages.


MSc Met. Sonja Stöckle
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.03.2022

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