Thema des Tages

09-03-2022 09:20

Mythos Kaventsmann (Teil 2)


Monsterwellen sind außerhalb der Norm. Das gilt sowohl für die
Wellenhöhe, aber auch für die Häufigkeit des Auftretens. Denn so
selten ist das Extrem-Phänomen gar nicht.


Nach der Messung der Draupner Welle im Jahre 1995 wurde die Forschung
im Bereich der Monsterwellen deutlich ausgeweitet. Das Projekt
MAXWAVE unter der Leitung des GKSS Forschungszentrums Geesthacht bei
Hamburg hat durch gezielte Radar- und Satellitenmessungen
Überraschendes festgestellt. Das seltene Phänomen ist gar nicht so
selten wie es sein sollte. Höchste Zeit also der Entstehung von
Monsterwellen näher auf den Grund zu gehen.

Zunächst nahm man in der Strömungstheorie an, dass längere und damit
schnellere Wellen kürzere, langsame Wellen einholen und sich dann
Überlagern. Die Überlagerung von Wellen wird in der Physik auch als
Interferenz bezeichnet. Geht man von der Interferenztheorie zur
Bildung von Monsterwellen aus, ist gemäß der Gauß?schen
Normalverteilung, das Auftreten extremer Wellen sehr
unwahrscheinlich. Die Natur machte der Theorie jedoch einen Strich
durch die Rechnung.
Am 1. November 2006 zog Sturm "Britta" über die Nordsee. Mit
nordwestlicher Strömung peitschten Orkanböen über das tosende Meer
und türmten die Wellen in der Deutschen Bucht etwa elf Meter hoch
auf. Gegen 5 Uhr morgens traf dann ein 15 Meter hoher Kaventsmann auf
die Forschungsplattform Fino-1. Nach der Interferenztheorie dürfte
eine solche Riesenwelle dort nur einmal in 100 Jahren auftreten. Aber
nur ein Jahr später, am 9. November 2007, wühlte Sturmtief "Tilo" die
See in der Deutschen Bucht auf und setzte mit einer ähnlich großen
Welle Fino-1 erneut schwer zu. Es muss demnach abseits von
Interferenzen noch andere Effekte geben, die diese Wellen dazu
befähigte so hoch anzuwachsen und ihre Energie zu fokussieren.
Ein Erklärungsansatz findet sich in der Natur von größeren
Meeresströmungen wie dem Golfstrom. Dort können Wellen gebündelt
werden wie das Licht in einem Brennglas. Desweiteren können sich
durch einen der Meeresströmung entgegengesetzten Sturm, wie es z. B.
häufiger vor der Küste Südafrikas oder um Kap Hoorn vorkommt, die
Wellen extrem aufsteilen. Eine dritte Ursache liegt in der
Topographie des Meeresbodens. Durch plötzliche Abnahme der
Wassertiefe kommt es zu Turbulenzen in der Strömung. Wellenberge
bewegen sich entgegen der allgemeinen Wellenrichtung und türmen sich
dabei auf. Auch bei Kreuzsee, wenn Dünung und Windsee aus
verschiedener Richtung aufeinanderprallen, wurden Monsterwellen
häufiger beobachtet.

In der Monsterwellenwelt bleiben die Giganten der Meere also nicht
lange alleine. Im Herbst 2020 kam es gleich zu zwei neuen Rekorden.
An der portugiesischen Atlantikküste bei Nazaré, einem
Surfer-Paradies, befindet sich eine mehr als 200 Kilometer lange und
bis zu 5000 Meter tiefe Meeresschlucht. Diese reicht fast bis an die
Küste heran. Hurrikan EPSILON tobte über den Atlantik. Die Ausläufer
des Sturms sowie eines Tiefdruckgebiets bei Grönland erzeugten ein
starkes Dünungsfeld, das im Oktober 2020 auf die Küste Portugals
traf. Unter anderem durch die Topographie entstand also nahe der
Küste eine 31 Meter hohe Wasserwand. Sie ist aktuell die größte
gesurfte Welle der Welt.

Nur einen Monat später, im November 2020 war es schon wieder soweit,
jedoch in einem anderen Ozean. Ein Tief über dem nördlichen Pazifik
entwickelte sich zum Sturm und zog entlang der Westküste der USA
nordwärts. Am 17. November traf das Tief in Kanada auf Land und
schwächte sich im weiteren Verlauf ab. Vor Vancouver Island erhob
sich eine 17,6 m hohe Welle. Ein neuer Rekord, denn der umgebende
signifikante Seegang war nicht mal 6 Meter hoch. Der Kaventsmann
überragte also die umgebenden Wellen um das dreifache. Diese Daten
wurden erst kürzlich, im Februar diesen Jahres, von der University of
Victoria wissenschaftlich bestätigt (siehe Link zum
wissenschaftlichen Artikel). Statistisch gesehen tritt solch eine
Welle bei dem umgebenden Seegang nur alle 1300 Jahre auf. Ob wir
wirklich so lange auf einen neuen Rekord in der Monsterwellenwelt
warten müssen?

MSc Met. Sonja Stöckle
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.03.2022

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