Thema des Tages

14-05-2022 08:50

Das "Paradoxon" von Sonnenhöchststand und Höchsttemperatur

Um die Mittagszeit steht die Sonne in unseren Breiten bekanntlich am
höchsten. Die Höchsttemperatur wird dagegen im Sommerhalbjahr
meistens erst am späten Nachmittag bzw. abends erreicht. Irgendwie
paradox oder nicht?

Hoch XENOPHON sorgt an diesem Wochenende für ruhiges Wetter mit
oftmals viel Sonnenschein in Deutschland. Das lässt die Temperatur im
Südwesten am heutigen Samstag auf bis zu 27 Grad klettern, im Norden,
wo eine etwas kühlere Luftmasse anzutreffen ist, wird dagegen bereits
bei Werten um 20 Grad Schluss sein. Daran ändert sich zumindest im
Nordosten auch am Sonntag nichts, im großen Rest des Landes legt die
Temperatur hingegen noch eine Schippe drauf mit verbreitet 23 bis 29
Grad, am Oberrhein und an der Saar sind zum Abend hin sogar 30 Grad
drin.

Zum Abend hin? Und das, obwohl die Sonne ja bekanntlich zur
Mittagszeit am höchsten steht und ihre Einstrahlung dann am
kräftigsten ist? Abends fallen die Sonnenstrahlen dagegen doch nur
noch ziemlich flach ein und haben kaum noch "Power". Wie passt das
denn mit der Höchsttemperatur zusammen?

Tja, das klingt vielleicht wirklich etwas paradox, aber die
Höchsttemperatur wird in unseren Breiten im Sommerhalbjahr
tatsächlich meist erst spätnachmittags, zwischen Mai und August oft
auch erst gegen 18 Uhr erreicht. Zur Erklärung steigen wir dafür doch
einfach einmal kurz in die leere Badewanne - nicht zwingend physisch,
gedanklich reicht an dieser Stelle vollkommen aus! Bei geöffnetem
Abfluss drehen wir den Wasserhahn nun ein kleines Stück auf. Die
Folge: Das Wasser fließt direkt über den Abfluss wieder ab. An eine
Füllung der Wanne ist bei diesem Rinnsal nicht zu denken. Das ist in
etwa gleichzusetzen mit den ersten einfallenden Sonnenstrahlen am
Morgen. Drehen wir den Hahn nun langsam weiter auf, stellen wir fest,
dass das Wasser allmählich anfängt zu steigen (entspricht dem
Vormittagsverlauf). Zur Mittagszeit ist der Hahn voll aufgedreht und
das Wasser (respektive die Sonneneinstrahlung bzw. die
Lufttemperatur) steigt stark an.
Im Anschluss wird der Hahn nun langsam wieder zugedreht, es fließt
aber immer noch mehr Wasser von oben nach, als unten abfließt - das
Wasser (also die Lufttemperatur) steigt demnach immer noch,
wenngleich nicht mehr so schnell (entspricht dem Nachmittagsverlauf).
Erst im Laufe des Abends wird der Punkt erreicht, an dem das nicht
mehr der Fall ist - der höchste Wasserstand bzw. die Höchsttemperatur
ist erreicht. Es fließt nun wieder mehr Wasser ab als nach und der
Wasserstand sinkt. Auf die Luft übertragen, reicht die Einstrahlung
der immer tiefer stehenden Sonne nicht mehr aus, um es mit der
Abkühlung der Luft aufnehmen zu können.

Dasselbe Phänomen greift im Allgemeinen übrigens auch in umgekehrter
Weise bei der Tagestiefsttemperatur, besonders in einer windschwachen
und klaren Nacht. Die Tiefsttemperatur wir dabei meist erst kurz nach
Sonnenaufgang erreicht, denn erst dann reicht die einfallende
Sonneinstrahlung aus, um den Erdboden und darüber indirekt auch die
Luft zu erwärmen.

Tatsächlich können Tageshöchst- und -tiefsttemperatur im Prinzip aber
zu jeder Tages- und Nachtzeit auftreten. So kann der
Temperaturanstieg im Sommer auch schon mal zum Mittag beendet sein,
wenn danach Schauer und Gewitter für eine Abkühlung sorgen. Im Winter
kommt es dagegen auch immer wieder mal vor, dass die Temperatur
nachts ihr Maximum erreicht, wenn beispielsweise eine Front kalte
Luft durch deutlich mildere Atlantikluft ersetzt.

Dipl.-Met. Tobias Reinartz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.05.2022

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