Thema des Tages

22-07-2022 12:50

Hamburg: unsichtbarer Wetterwechsel


Plötzlich wurde es anders und nichts ist passiert. Ein sommerliches
Phänomen spielte sich diese Woche in Hamburg ab. Viel Wind,
plötzlicher Temperaturrückgang, Zufuhr sehr feuchter Luft, aber weder
Wolken noch Regen. Was ist da passiert?

Als Meteorologin kann ich draußen in der Natur nur selten den Kopf
komplett ausschalten. Denn jeder Blick in den Himmel lässt einen über
die physikalischen Prozesse nachdenken, die sich durch
Wolkenformationen oder Windbewegungen zeigen. So wird auch ein
dienstfreier Tag bei großer Hitze genutzt um über die Rätsel der
Meteorologie zu philosophieren. Ich suchte mir am vergangenen
Mittwoch, dem bisher heißesten Tag in Hamburg, ein schattiges
Plätzchen in einem Hamburger Park. In der Nähe spielte einer der
Oben-Ohne-Fraktion sanfte Töne auf seiner Gitarre. Es wehte ein
leises Lüftchen aus südlicher Richtung, was für Hamburg schon eher
untypisch ist. Doch dann hatte die ungewöhnliche Hitze ein jähes
Ende. Der Wind frischte aus einer anderen Richtung plötzlich auf und
die Temperaturen sanken von 39 auf 31 Grad ab, gleichzeitig stieg der
Taupunkt von 8 Grad auf 18 Grad sprunghaft an. Windzunahme, deutlich
erhöhte Luftfeuchtigkeit, aber keine einzige Wolke am Himmel.

Die Ausgangslage sah wie folgt aus: Ein Hoch lag mit seinem
Schwerpunkt über Osteuropa. Gleichzeitig hat sich auch in der Höhe
ein Hochdruckrücken angefüllt mit heißer Luft vom Mittelmeer bis nach
Mitteleuropa erstreckt. Im Tagesverlauf wurden beide weiter nach
Osten abgedrängt. Von der Nordsee über Belgien bis in die Schweiz lag
eine Kaltfront. Diese verlagerte sich bis zum Nachmittag wenig
ostwärts und erreichte gegen 17 Uhr etwa eine Linie von Amsterdam
über das Ruhrgebiet bis ins Allgäu. Entlang dieser Linie haben sich
bereits einige Gewitterzellen gebildet. Westlich davon sanken bereits
die Temperaturen. Die Kaltfront lag also noch weit westlich von
Hamburg, trotzdem gingen die Temperaturen ganz ohne Blitz und Donner
deutlich zurück. Die Kaltfront konnte es also nicht gewesen sein, was
in der Stadt für Erfrischung sorgte.

Vorlaufend der Kaltfront konnte man im Windfeld der unteren
Troposphäre eine Konvergenzlinie erkennen, die sich am Nachmittag
über Norddeutschland ostwärts verlagerte. Bei einer Konvergenz fließt
Luft in niederen troposphärischen Schichten zusammen und zwingt die
Luftmasse somit vertikal aufzusteigen. Bei so aufsteigender Luft
entstehen meist konvektive Bewölkungsformen bis hin zu
Cumulonimbus-Bewölkung. Wolken konnte man über dem Hamburger Himmel
aber keine erkennen. Was hat die Wolkenbildung verhindert? Zum einen
war die Luftmasse über Norddeutschland durch die anhaltenden sehr
hohen Temperaturen und dem vorangegangenen Hochdruckeinfluss sehr
trocken. Die Luftmasse hätte schon sehr stark gehoben werden müssen,
um die Wolkenbildung zu fördern. Zum anderen hat die Thermik in der
Grenzschicht plötzlich "kalte Füße" bekommen. Schuld daran ist die
Nordsee.

Die Nordseetemperaturen liegen zurzeit bei 18 bis 20 Grad, direkt an
der Küstenlinie bis 22 Grad. Das Festland hat sich am Mittwoch auf 35
bis 40 Grad aufgeheizt. Durch den lokalen Temperaturgradienten
entstand eine sogenannte "thermische Zirkulation", die auch
"Land-Seewind-Zirkulation" genannt wird. Aufgrund der geringeren
Wärmekapazität der Landflächen im Vergleich zu den Wasseroberflächen
heizt sich die Luft dort stärker auf. Die erhitzte Luft weist im
Vergleich zur Meeresumgebung eine geringere Dichte auf und steigt
somit auf. Es entsteht bodennah ein lokales Tief über der Landfläche,
in der oberen Grenzschicht ein lokales Hoch. Durch den tieferen
Luftdruck im bodennahen Bereich wir die relativ kühlere und feuchtere
Meeresluft angezogen. Gleichzeitig entwickeln sich über dem Meer
umgekehrte Luftdruckstrukturen mit höherem Luftdruck am Boden und
tieferem Luftdruck in der Höhe durch Absinkbewegungen in der
Grenzschicht. Diese Zirkulation wurde im Tagesverlauf immer
großräumiger und brachte kühlere und feuchtere Luft weiter ins
Landesinnere Schleswig-Holsteins und Niedersachsens.

Die Konvergenzlinie hat die kühlere und feuchtere Meeresluft, die
durch die Seewind-Zirkulation schon eingeflossen ist noch etwas
schneller und weiter über Schleswig-Holstein bis nach Hamburg
vorangetrieben. Gegen 17 Uhr erreichte der Seewind angekündigt durch
die plötzliche Windzunahme Hamburg. Die eingeflossene bodennahe
Kaltluftschicht reichte vom Boden bis etwa in eine Höhe von 700
Metern (sehr schön zu sehen in einem Vertikalprofil gemessen am
Flughafen Fuhlsbüttel). In dieser vergleichsweisen kalten Luft hatten
die Thermikblasen keine Chance mehr aufzusteigen und die Bildung von
Quellwolken blieb aus.

Noch ein interessantes meteorologisches Detail, das sich an diesem
Tag beobachten ließ, waren die Windgeschwindigkeiten entlang der
Elbe. Während über Schleswig-Holstein und Niedersachsen die
Seewind-Konvergenz mit Böen um 45 km/h durchzog, wurden entlang der
Elbe teils Windgeschwindigkeiten über 60 km/h gemessen. Dies liegt
zum einen an der niedrigeren Reibung über Wasseroberflächen. Zum
anderen begünstigte auch die Windrichtung die höheren
Geschwindigkeiten. Der trichterförmige Ausgang der Elbe erzeugt einen
Kanalisierungseffekt bei Nordwestwinden.

Für mich ging ein gemütlicher Tag zu Ende und ich freue mich schon
auf meinen nächsten freien Tag um weiter über faszinierende
meteorologische Prozesse zu rätseln.

MSc Sonja Stöckle
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 22.07.2022

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