Thema des Tages

21-09-2022 13:20


Wissenschaft kompakt
Was sagt uns die aktuelle saisonale Vorhersage über den Winter?

Anfang September sind die aktualisierten Jahreszeitenvorhersagen
gängiger globaler Klimamodelle erschienen, darunter vom
Vorhersagemodell des DWD. Inwieweit daraus mögliche Trends für den
kommenden Winter abgeleitet werden können, soll kurz erläutert
werden.

Der astronomische Herbstanfang klopft buchstäblich an die Tür und
auch das Wetter präsentiert sich in dieser Woche dementsprechend.
Rechtzeitig dazu liegt nun neben Prognosen einschlägiger globaler
Klimamodelle auch die aktualisierte saisonale Vorhersage des
Klimamodells des Deutschen Wetterdienstes (DWD) für die kommenden
Monate vor.
Jahreszeitenvorhersagen geben eine Prognose darüber ab, mit welcher
Wahrscheinlichkeit die kommenden drei Monate zum Beispiel trockener
oder feuchter, wärmer oder kälter als im langzeitlichen Mittel
werden.
Das German Climate Forecast System (CFS) ist ein Gemeinschaftsprojekt
der Universität Hamburg (UHH), des Max-Planck-Instituts für
Meteorologie (MPI-M) und des Deutschen Wetterdienstes (DWD), (siehe https://www.dwd.de/DE/leistungen/jahreszeitenvorhersage/jahreszeitenv
orhersage_start.html).
Dafür errechneten die Wissenschaftler mit einem speziell angepassten
Klimarechenmodell zunächst Vorhersagen für möglichst viele vergangene
Jahre. Diese langfristige Klimatologie liefert zuverlässige
Durchschnittswerte und dient damit als Basis für den Vergleich mit
den aktuellen Prognosen. Zusätzlich werden die errechneten Prognosen
mit Klimatologien verglichen, die aus Beobachtungsdaten gewonnen
werden. Auf dieser breiten Basis können Aussagen über Trends
getroffen werden, die sich allerdings maßgeblich von der
herkömmlichen Wettervorhersage unterscheiden.
Bei einem Blick auf den prognostizierten Trend für die Abweichung der
2m-Temperatur ist für die Wintermonate Dezember, Januar und Februar
für Mitteleuropa eine eher moderate Abweichung in Richtung 0,5 bis 1
Grad zu warm zu erkennen.
Das mag aus derzeitiger Sicht einerseits nicht viel bedeuten,
andererseits würde eine derartige Abweichung auch eine zeitweilige
negative Abweichung der Lufttemperatur einschließen (vorübergehende
Kaltlufteinbrüche).
Kommen wir nun zu einigen aus klimatologischer Sicht interessanten
sowie ergänzenden Informationen. Bis einschließlich Januar besteht
eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für die Fortdauer des derzeitigen
La Niña-Ereignisses (zu El Niño und La Niña, siehe Erläuterungen hier
https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?nn=10334
6&lv2=100652&lv3=100732 ).
Derartige ozeanisch-atmosphärische Phänomene mit relativ langer
Andauer (low frequency base state) und damit auch längerer und
relativ guter Vorhersagegüte fließen in saisonale Vorhersagemodelle
sowohl über statistische Korrelationen als auch über direkte
Relationen zu bestimmten synoptischen Mustern ein. Ein klassisches
synoptisches Muster bei La Niña ist der so genannte
Aleuten-Höhenrücken, also häufig hoher Luftdruck über Teilen des
Nordpazifiks. Normalerweise nimmt klimatologisch dort das
Aleuten-Tief diesen Platz ein (siehe https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?nn=10334
6&lv2=100072&lv3=100254).
Letzteres sorgt im Winterhalbjahr üblicherweise für verstärkte
meridionale und vertikale Wärmeflüsse (allgemein Wellenflüsse), die
sich mitunter im erweiterten Arktikumfeld bis in die Stratosphäre
ausbreiten können, um dort unter Wärmefreisetzung zu dissipieren
(sich auflösen). Daher würde im Falle eines intakten Aleuten-Tiefs
neben anderen Bedingungen auch die Wahrscheinlichkeit einer
plötzlichen Stratosphärenerwärmung (SSW) erhöht, was wiederum
weitreichende Konsequenzen z.B. für die atlantische Zirkulation (NAO)
haben könnte, siehe auch
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/10.html.
Die Vorhersage für den Zustand des Stratosphärischen Polarwirbels
(SPV), ausgedrückt über den zonal gemittelten zonalen Wind in 10 hPa
(in über 30 km Höhe) und auf 60 Grad Nord gemittelt des CFS vom DWD
sieht nun über die Wintermonate hinweg einen weitgehend normal
ausgeprägten SPV mit westlichen Winden in diesem Bereich.
Die entsprechenden Bilder finden Sie auch unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2022/9/21.html).
Nur wenige Ensemble-Member sehen im Winterverlauf eine komplette
Windumkehr auf östliche Winde (Definition für ein so genanntes
Major-SSW). Im Gegenteil, nach einem im Vergleich zum
klimatologischen Mittel schwächeren Verlauf im November soll der SPV
im Januar und Februar 2023 überdurchschnittlich stark ausgeprägt
sein. Diese Trendvorhersage würde zu den obigen Aussagen im
Allgemeinen recht gut passen. Ein normal ausgeprägter SPV führte über
Mitteleuropa eher zu atlantisch geprägten Westwetterlagen, das heißt
teils zu relativ nassem und überwiegend mildem, zeitweise auch
windigem Wettercharakter.
Allerdings kann eine ausgewachsene La Niña im Winterhalbjahr unter
der Voraussetzung eines ausgeprägten Jet-Streams (bei normal bis
überdurchschnittlich starkem stratosphärischen Polarwirbel) indirekt
vom Pazifik her die Amplifizierung planetarer Wellen bis in den
Atlantik hin beeinflussen. Ein stärkeres Mäandrieren der Strömung auf
dem Nordatlantik ließe über West- und Mitteleuropa zumindest
vorübergehend auch Wetterlagen wie Atlantischer Rücken (AtR) oder
auch Trog Skandinavien in der Ausprägung NAO (Nordatlantische
Oszillation negativ zu, siehe https://www.dwd.de/DE/service/lexikon/Functions/glossar.html?nn=10334
6&lv2=101812&lv3=101858), was zumindest vorübergehend zu
Kaltluftausbrüchen führen könnte.
Abschließend sei aber festzuhalten, dass dieser kurze Abriss
lediglich eine Zusammenschau übergeordneter Faktoren und einen
Abgleich mit der aktuellen saisonalen Vorhersage darstellt. Viele
andere Faktoren beeinflussen synoptische Muster in der Troposphäre
und sind selbst in der erweiterten Mittelfrist (10 bis 15 Tage
Vorhersagefrist) nicht oder nur schwer vorhersagbar.

Zudem ist insbesondere bei der Nutzung der Abbildungen zu den
Jahreszeitenvorhersagen zu beachten, dass diese Prognosen Gegenstand
intensiver Forschung und permanenter Weiterentwicklung sind.


Dr. rer. nat. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.09.2022

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