Thema des Tages

09-02-2023 15:20


Wissenschaft kompakt
Die nächste Stratosphärenerwärmung kommt!

Ende Januar gab es bereits ein Minor-Warming in der oberen und
mittleren Stratosphäre. Nun steigen die Chancen auf ein Major-Warming
nach Monatsmitte, mit möglichen Konsequenzen auch für die
Troposphäre.

Eine plötzliche Stratosphärenerwärmung tritt statistisch gesehen alle
zwei Jahre im nordhemisphärischen Winter auf. Per Definition spricht
man von einem "major sudden stratospheric warming" oder einer
markanten plötzlichen Stratosphärenerwärmung, wenn neben einem
starken Temperaturanstieg (über 25 Grad in wenigen Tagen) in der
oberen und mittleren Stratosphäre über dem Nordpol der westliche
Wind (zonal gemittelt, also auf einem Breitengrad, hier 60 Grad N
zirkumpolar) in 10 hPa (in etwa 31 km Höhe) komplett auf Ostwind
dreht, also reversiert.
Ein "minor stratospheric warming" (schwächeres Ereignis) geht ebenso
mit einer markanten Temperaturerhöhung in der polaren oberen bis
mittleren Stratosphäre, allerdings nicht mit einer kompletten
Windumkehr in 10 hPa/ 60 Grad Nord, einher.
Hintergrund der Definition für ein Major-SSW ist eine markante (und
möglichst nachhaltige) Schwächung des stratosphärischen Polarwirbels
(SPV), die in der Regel auch eine großräumige Veränderung
troposphärischer Zirkulationsmuster nach sich zieht (siehe auch TdT
vom 10.01.2021
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/1/10.html).
Ende Januar fand nun bereits ein Minor-Warming statt, wobei ein Teil
der Entstehungsgeschichte dafür im TdT vom 06.01.2023 angerissen
wurde (https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/1/6.html).
Die Auswirkungen dieses Minor-Warmings auf die Troposphäre waren bzw.
sind aufgrund obiger Bedingungen stark limitiert, weil eine
dynamische Kopplung Stratosphäre-Troposphäre in der Regel nicht
stattfindet. Wesentlich für die weiter unten beschriebene Entwicklung
in Richtung eines Major-SSW ist allerdings schon die vorherige
Schwächung des Stratosphärischen Polarwirbels (SPV) durch das
Minor-Warming.
Nun kündigt sich nach Monatsmitte eine weitere plötzliche
Stratosphärenerwärmung (SSW) an, wobei die Modelle (EZMWF, GFS)
diesmal von einem Major-SSW ausgehen. Eine bestimmte synoptische
Konstellation (neben dem Alëuten-Tief sei hier auch das Muster
Skandinavien-Hoch, kombiniert mit Grönland-Tief zu erwähnen)
ermöglicht bei langen quasistationären planetaren Wellen mit großer
Amplitude verstärkte meridionale und vertikale Wellenflüsse in
Richtung Arktische Stratosphäre. Diese Rossby-Wellen breiten sich mit
der Zeit bis in die mittlere und obere Stratosphäre aus, vergrößern
dort aufgrund geringerer Dichte noch ihre Amplitude in Richtung
polare Stratosphäre, brechen somit verstärkt und dissipieren im
Verlauf (lösen sich auf) unter starker Wärmefreisetzung.
Beim bevorstehenden Major-SSW geht man zunächst erneut von einem
"Displacement" (Verschiebung) des SPV vom Pazifik her aus. Bei diesem
Ereignis (gerade in Kombination mit vorherigem Minor-Warming) ist
eine nachhaltige Störung bzw. Schwächung des SPV zu erwarten, womit
wir schon bei den Auswirkungen sind, die uns erwarten könnten.
Bei einem Major-SSW setzt sich die Störung (Erwärmung und Ostwinde,
also Temperatur und Geopotenzial) mit der Zeit dynamisch von der
oberen und mittleren bis in die untere Stratosphäre, schließlich bis
in die Troposphäre durch (kanonisch mit der Folge hohen Luftdrucks
bzw. entsprechend hohen Geopotenzials in 500 hPa im Arktisumfeld,
z.B. Grönlandblocking). Damit einher geht oft ein deutlich negativer
Index der Arktischen und Nordatlantischen Oszillation (AO bzw. NAO,
siehe Link Wetterlexikon), wobei durch die Windumkehr bei vermehrt
meridionalen Strömungsmustern arktische Luftmassen weit nach Süden
vordringen. Die Fachliteratur beschreibt hierbei Eurasien gegenüber
Nordamerika als bevorzugt beeinflusste Region.
Prinzipiell werden SSW-Ereignisse mittlerweile relativ gut durch die
Wettermodelle erfasst (etwa ab 7 bis 9 Tage vor dem Ereignis, da die
Globalmodelle bis in die Stratosphäre hinauf relativ gut aufgelöst
rechnen, sowohl vertikale als auch horizontale Level). Probleme
bestehen allerdings weiterhin bei der dynamischen Kopplung
Stratosphäre - Troposphäre einerseits und bei der Zuordnung zu
möglichen troposphärischen Strömungsmustern andererseits. Letztere
weisen doch eine hohe Variabilität auf, auch abhängig vom
synoptischen Muster unmittelbar vor dem SSW. Ein anderes Problem ist
die Abfolge der Auswirkungen, stellen sich doch die troposphärischen
Muster immer deutlich zeitlich, häufig auch räumlich versetzt um, was
wiederum mit der vertikalen Ausbreitung der Wellenflüsse (von oben
nach unten) zusammenhängt.
Ein SSW-Ereignis kann die troposphärische Zirkulation bis zu zwei
Monate nachhaltig beeinflussen. Das kommende Major-SSW wird von den
Modellen wie EZMWF und GFS bereits recht konsistent simuliert. Nun
bleibt abzuwarten, wie und vor allem wann die troposphärische
Reaktion auch diskret in den Modellen erscheint. Um die klassischen
troposphärischen Muster in den Modellen oder Ensemble-Vorhersagen zu
erkennen, ist noch etwas Geduld erforderlich.
Einzig anhand der aktuellen Streuung der Ensemble-Vorhersage für den
NAO-Index (einschl. einzelner Member mit bereits NAO negativ am Ende
der Vorhersagezeit von 15 Tagen) sieht man eine mögliche Entwicklung
als Folge der zu erwartenden stratosphärischen Störung.


Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 09.02.2023

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