Thema des Tages

11-02-2023 13:20


Wissenschaft kompakt
Kaltlufttropfen - Der Schönwetterverderber

Kennen Sie das? Trotz eines mächtigen Hochdruckgebiets auf den
Bodenwetterkarten herrscht unbeständiges Schauerwetter. Die
"Spielverderber" sind meist Kaltlufttropfen.

Der Zeiger des Wandbarometers steht auf "schön" und misst einen
Luftdruck von 1040 hPa, auf dem Display der "intelligenten"
Wetterstation im Wohnzimmer leuchtet ein Sonnensymbol. Beim Blick aus
dem Fenster sieht man aber dunkle Schauerwolken, plötzlich blitzt und
donnert es sogar und Graupelkörner tanzen auf Dächern und Straßen.
Merkwürdig! Auch die Wetterkarte in der Tageszeitung zeigt ein
mächtiges Hochdruckgebiet über Europa. Was ist also der Grund für die
vermeintlich "verkehrte Welt" beim Wetter?

Ursache ist wahrscheinlich ein sogenannter "Kaltlufttropfen". Dazu
muss man wissen, dass nicht nur der Luftdruck in Bodennähe - den das
heimische Barometer misst - über den Wettercharakter entscheidet.
Auch die Druckverteilung in der Höhe, also der Luftdruck drei, fünf
oder zehn Kilometer über unseren Köpfen, spielt beim Wetter eine
entscheidende Rolle. So kann es sein, dass sich zwar im Bodenniveau
ein großflächiges Hochdruckgebiet breitgemacht hat, in der Höhe
jedoch ein kleines Tief herumwirbelt. Dieses bezeichnet man in der
Meteorologie als Kaltlufttropfen (zur Namensherkunft später mehr).

Kaltlufttropfen befinden sich fast immer über den Randbereichen eines
Bodenhochs. In der mittleren Troposphäre, also etwa fünf Kilometer
über uns (500hPa-Niveau) ist dieses nahezu kreisförmige Höhentief am
stärksten ausgeprägt. Aber selbst auf Wetterkarten bis in 1,5 km Höhe
(850hPa-Niveau) ist ein Kaltluftbereich mit tieferem Luftdruck oft
noch gut erkennbar. In den Bodenwetterkarten ist jedoch kein
abgeschlossenes Tief mehr zu finden. Damit wären wir auch beim
Hauptunterscheidungsmerkmal zwischen einem Kaltlufttropfen und einem
"gewöhnlichen" Tief. Bei letzterem handelt es sich um ein
hochreichendes Tiefdruckgebiet, das sowohl am Boden als auch in der
Höhe ausgeprägt ist, während ein Kaltlufttropfen nur in der Höhe
(über dem Bodenhoch) zu finden ist. Häufig (aber nicht immer) sind
die Isobaren (Linien gleichen Luftdrucks) um das Hochdruckgebiet
unterhalb des Kaltlufttropfens zumindest noch etwas eingedellt.
Zwischen 500 und 300 hPa (etwa 5,5 bis 10 km Höhe) ist rund um das
Höhentief zusätzlich ein Starkwindfeld anzutreffen.

Man unterscheidet bei Kaltlufttropfen zwischen zwei
Entstehungsmechanismen. Zum einen können sie durch einen
Cut-Off-Prozess aus einem Höhentrog* entstehen. Ist der Höhentrog
weit nach Süden ausgedehnt, "tropft" nicht selten ein Höhentief ab.
Dieser Kaltluft"tropfen" wird nun durch die bodennahe und meist
schwache Strömung gesteuert. Kaltlufttropfen können aber auch das
Relikt eines ursprünglich hochreichenden Tiefdruckgebiets sein, wobei
sich durch Reibungsprozesse das Bodentief aufgelöst hat und nur noch
der Kaltlufttropfen in der Höhe übrigbleibt.

Kaltlufttropfen treten überwiegend im Winterhalbjahr auf, kommen aber
auch im Sommer vor. Im Gegensatz zu Bodentiefs besitzen sie keine
Fronten, weil sich die kälteste Luft in der Mitte der in etwa
kreisförmigen Gebilde sammelt, daher der Name "Kaltluft"tropfen.

Diese kalte Höhenluft ist der Grund, weshalb Kaltlufttropfen zum
"Schönwetterverderber" werden. Die Temperaturabnahme mit der Höhe ist
unterhalb des Kaltlufttropfens stärker als in der Umgebung, die
Luftschichtung wird also labilisiert. Dadurch entstehen (trotz hohen
Luftdrucks am Boden) Schauer und manchmal sogar Kaltluftgewitter.

Einen besonders gut ausgeprägten und sehr langlebigen Kaltlufttropfen
gab es im März vergangenen Jahres. In der Nacht zum 19. März tropfte
der Kaltlufttopfen östlich von Schweden über der Ostsee aus einem
Höhentrog ab und zog nach Polen. Während von Dänemark bis zum
Baltikum mit teils über 1050 hPa für die Jahreszeit rekordverdächtig
hohe Luftdrücke gemessen wurden, lag der Kaltlufttropfen am
Nachmittag mitten über Deutschland, wo am Boden immerhin noch rund
1040 hPa vorherrschten. Dennoch bescherte uns der Kaltlufttropfen
windiges und wechselhaftes Wetter mit Regen-, Schnee- und
Graupelschauern. Mit der östlichen Strömung an der Südseite des
mächtigen Hochs "schwamm" der Kaltlufttropfen wie ein Fettauge auf
der Suppe westwärts nach Belgien und bis zum 21. März zur Nordsee.
Auf dem Satellitenbild waren die Wolkenspiralen und auf der
Höhenkarte der runde Kaltlufttropfen gut erkennbar, auf der
Bodendruckkarte sah man hingegen lediglich eine kleine Delle an der
Westseite des Hochs. In den Folgetagen wanderte der Kaltlufttropfen
weiter im Uhrzeigersinn um das Hoch, überquerte den Süden
Skandinaviens und erreichte in der Nacht zum 23. März seine
Geburtsstätte über der Ostsee. Dort war seine Reise noch immer nicht
zu Ende. Er zog weiter seine Kreise über die Baltischen Staaten und
Belarus zur Ukraine. Am Nachmittag des 24. März erkannte man eine
wunderschöne Wolkenspirale im Bereich des Kaltlufttropfens inmitten
einer riesigen wolkenfreien Zone, die sich von Frankreich über
Mitteleuropa bis nach Russland erstreckte. Erst am 26. März löste
sich der Kaltlufttropfen über der Osttürkei auf, nachdem er innerhalb
von gut acht Tagen mehr als 6500 Kilometer zurücklegte. In den
nachfolgenden Animationen können Sie die Reise durch Europa
eindrucksvoll nachverfolgen.

Zurück in die Gegenwart. Bis weit in die kommende Woche hinein
bestimmt ein mächtiges Hochdruckgebiet unser Wetter. In der zweiten
Wochenhälfte simulieren die Wettermodelle aber immer wieder die
Bildung eines Kaltlufttropfen mit den typischen Wetterkapriolen. Ob
dieser auch das Wetter bei uns in Deutschland aufmischt, ist aus
heutiger Sicht aber noch nicht vorhersagbar. Es bleibt also spannend.


* In der Höhe entstehen anders als am Boden in der Regel wellenartige
Druckverteilungen mit Trögen tiefen Luftdrucks (auf der Nordhalbkugel
nach Süden ausgewölbte Wellentäler) und Rücken hohen Luftdrucks (nach
Norden gewölbte Wellenberge).

Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.02.2023

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