Thema des Tages

15-04-2023 12:50


Wissenschaft kompakt

Phänologie im Klimawandel - Teil 2: Veränderungen des
Schadfrostrisikos


Spätfröste können an landwirtschaftlichen Kulturen erhebliche Schäden
verursachen. Doch welchen Einfluss hat der Klimawandel auf das
Schadfrostrisiko in Deutschland?


Die Vegetation präsentiert sich momentan farbenfroh und einige
Obstbäume stehen in voller Blüte. Obstbauern und mancher Hobbygärtner
verfolgen in dieser Jahreszeit besonders interessiert die
Wettervorhersagen und hoffen, dass Kaltlufteinbrüche ausbleiben.
Treten nämlich während der Obstblüte die gefürchteten Nachtfröste
auf, können diese den Ertrag der späteren Ernte erheblich verringern.
Für den Hobbygärtner ist dies lediglich ärgerlich, da er mal nicht
mit seinem voll hängenden Kirschbaum beim Nachbarn prahlen oder
körbeweise Früchte an Freunde und Verwandte verschenken kann. Für
landwirtschaftliche Betriebe können Schadfröste allerdings erhebliche
finanzielle Einbußen zur Folge haben.

Daher erreichen den Deutschen Wetterdienst (DWD) gerade von Obst- und
Weinbauern immer wieder Anfragen, inwiefern der Klimawandel einen
Einfluss auf die Häufigkeit von Schadfrösten in landwirtschaftlichen
Kulturen hat. In der Abteilung der Agrarmeteorologie wurde dieser
Frage nachgegangen und es wird weiterhin daran geforscht. Die
Ergebnisse könnten für manche Laien durchaus überraschend sein.

Sicherlich wird es die wenigsten verwundern, dass als Folge der
globalen Erwärmung die Anzahl der Frosttage in den letzten
Jahrzehnten abgenommen hat. Damit kommen auch Spätfröste in den
Frühjahrsmonaten immer seltener vor, wie Abbildung 1 belegt. Im
Diagramm ist die Wahrscheinlichkeit von Nachtfrösten unter -2 Grad
(Temperatur, ab der mit Schäden an Obstbäumen zu rechnen ist) nach
dem in der x-Achse aufgetragenen Datum gezeigt. Die international
gültige Referenzperiode 1961-1990 ist als blaue und die aktuellere
Periode 1991-2020 als braune Kurve dargestellt. Vor allem ab April
sind in der aktuelleren Periode Nachtfröste weniger wahrscheinlich
geworden. Lag in den Jahren 1961-1990 die Wahrscheinlichkeit noch bei
55%, dass nach dem 10. April Temperaturen unter -2 Grad auftraten,
sank die Wahrscheinlichkeit in den Jahren 1991-2020 auf 40%. Nach dem
25. April waren in der früheren Periode Nachtfröste sogar mehr
dreimal so wahrscheinlich (22%) als in der neueren Periode (7%).
Daher könnte man vermuten, dass auch die Wahrscheinlichkeit für
Schadfröste abnimmt.

Im Thema des Tages vom 19. März dieses Jahres haben wir aber gezeigt,
dass im Zuge des Klimawandels die Vegetation früher aus dem
Winterschlaf erwacht und auch die darauffolgenden phänologischen
Jahreszeiten verfrüht einsetzen. Früherer Blühbeginn und abnehmende
Fröste stehen quasi in Konkurrenz. Die Süßkirsche beispielsweise
begann früher durchschnittlich erst am 26. April zu blühen, in der
aktuelleren Periode aber schon am 17. April. Abb. 1 zeigt, dass
zwischen 1961 und 1990 die Wahrscheinlichkeit nur bei 19% lag, dass
nach dem 26. April Frost unter -2 Grad auftrat. Mit dem früheren
Blühbeginn (17. April) im Zeitraum 1991-2020 beträgt die
Wahrscheinlichkeit für Schadfröste nach diesem Datum allerdings noch
27%. Paradoxerweise hat also in Deutschland das Schadfrostrisiko bei
Süßkirschen trotz der Abnahme von Spätfrösten durch den früheren
Blühbeginn zugenommen.

Es gibt aber regionale Unterschiede (Abbildung 2). Auf der linken
Karte ist die Wahrscheinlichkeit von Schadfrösten zum Beginn der
Süßkirschenblüte in der Periode 1961-1990 und in der mittleren Karte
die entsprechenden Wahrscheinlichkeiten zwischen 1991-2020 gezeigt.
Die rechte Karte verdeutlicht die Veränderung zwischen beiden
Zeiträumen. Vor allem in der Mitte und im Südwesten liegt die
Wahrscheinlichkeit mittlerweile bei über 30%, dass nach Beginn der
Kirschblüte noch Nachtfröste unter -2 Grad auftreten. Anders
ausgedrückt: Durchschnittlich in jedem dritten Jahr kann es dort zu
Schadfrösten kommen. Vor allem im Südwesten ist das Schadfrostrisiko
deutlich gestiegen, weil dort die Kirschblüte schon in der ersten
Aprilwoche einsetzt. Zu dieser Zeit gibt es noch relativ häufig
Nachtfröste. Im Osten ist das Risiko hingegen gesunken, da dort die
Anzahl der Frosttage deutlich zurückging, während sich der Blühbeginn
weniger stark verschoben hat.

Bei der Apfelblüte nahm das Schadfrostrisiko fast bundesweit zu (Abb.
3). Aufgrund des deutlich späteren Blühbeginns waren früher
Frostschäden an Apfelblüten kaum ein Thema, die Wahrscheinlichkeit
lag deutschlandweit bei unter 5%. Mit dem früheren Blühbeginn der
Apfelbäume nahm das Risiko von Schadfrösten in der südlichen Mitte
und im Südwesten auf 10-15% zu, sodass in dieser Periode etwa alle 7
bis 10 Jahre mit Schäden an Obstbäumen zu rechnen war. Insbesondere
in der für den Apfelanbau bedeutsamen Bodenseeregion sowie am
Hochrhein ist der stärkste Anstieg des Schadfrostrisikos zu
verzeichnen (>15%).

Beim Weinanbau wird ein ähnlicher Trend beobachtet, wie exemplarisch
die Zeitreihe von Geisenheim (Rheingau) zeigt (Abb. 4). In Dunkelblau
sind die Jahre dargestellt, in denen es nach dem Austrieb der Reben
noch zu Temperuren unter 1 Grad kam. Die hier verwendete höhere
Temperatur ist der Tatsache geschuldet, dass Weinreben besonders
empfindlich sind und in einem Meter Höhe wachsen, wo es in klaren
Nächten meist kälter ist als in zwei Metern Höhe (offizielle Messhöhe
der Lufttemperatur). Kam es früher eher selten zu Schadfrösten, nahm
die Häufigkeit in den letzten Jahren erkennbar zu.

Und wie geht es in der Zukunft weiter?

An dieser Frage wird beim DWD aktuell noch intensiv geforscht, ebenso
wie an der Untersuchung von weiteren landwirtschaftlichen Kulturen.
Bei der Süßkirsche ist zu befürchten, dass in Ostdeutschland nach
einem vorübergehend gesunkenem Schadfrostrisiko in Zukunft ebenfalls
ein Anstieg zu erwarten ist, da auch dort die Blüte immer früher
einsetzen wird. Im Südwesten ist die Vorhersage schwieriger, da
einerseits die Spätfröste weiter abnehmen werden, die Bäume aber
nicht unbegrenzt früh austreiben können. Dadurch könnte nach dem
beobachteten Anstieg das Schadfrostrisiko in den nächsten Jahrzehnten
möglicherweise wieder sinken. Zum Leidwesen von Landwirten und
Hobbygärtnern wird es aber auch in Zukunft Schäden durch Spätfröste
geben und möglicherweise ist es auch sinnvoll, manche
landwirtschaftliche Anbaugebiete in andere Regionen Deutschlands zu
verlagern.



Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 15.04.2023

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