Thema des Tages

30-06-2023 12:50


Wissenschaft kompakt
Aerosole in der Wettervorhersage

Aerosole in der Atmosphäre mit verschiedener Herkunft bergen
Unsicherheiten für die Wettervorhersage. Darauf soll kurz eingegangen
werden.

Numerische Wettervorhersagemodelle (NWV) werden mehrmals täglich in
großen operationellen Vorhersagezentren gerechnet. Das Grundkonzept
der Numerische Wettervorhersage besteht darin, einen komplexen Satz
mathematischer Gleichungen zu lösen, die die atmosphärische Dynamik
und die physikalischen Erhaltungssätze einschließlich Masse, Impuls
und Energie ausdrücken. In NWV-Modellen werden partielle
Differentialgleichungen zeitlich progressiv gerechnet, um zukünftige
atmosphärische Zustände zu erhalten, wobei wegen der enormen
Datenmengen hauptsächlich Supercomputer eingesetzt werden. Die
Fortschritte der Numerische Wettervorhersage in den letzten Jahren
und Jahrzehnten lassen sich einerseits auf das bessere Verständnis
von physikalischen Schlüsselprozessen sowie deren numerische
Parametrisierung, andererseits auch auf die rasche technologische
Entwicklung in Bezug auf Rechenleistung, Datenerfassung und auch
Datenassimilation zurückführen.

Atmosphärisches Aerosol, das aus lichtabsorbierenden Komponenten wie
schwarzem Kohlenstoff und streuenden Komponenten wie Sulfat besteht,
stammt aus primären anthropogenen und natürlichen Emissionen und wird
durch sekundäre chemische Umwandlungen gebildet. Aerosole
beeinflussen das Wetter und das Klima direkt durch die Streuung und
Absorption von Strahlung und indirekt durch die Veränderung der
mikrophysikalischen Eigenschaften von Wolken, wodurch sie eine
kühlende oder auch erwärmende Wirkung auf den Planeten haben können.
Fallstudien haben gezeigt, dass Aerosol einer der wichtigsten
Faktoren ist, der die Wettervorhersage beeinflussen kann. So kann
anthropogenes Aerosol die Menge des Sonnenlichts, die den Boden
erreicht, verringern und damit in dicht besiedelten Regionen zu einer
lokalen Abkühlung führen. Aerosol aus der Verbrennung von Biomasse
(siehe Thema des Tages vom 28.06.23 über die Rauchwolke der
Waldbrände aus Kanada:
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/6/28.html), das
eine große Menge an lichtabsorbierendem schwarzem Kohlenstoff
enthält, verringert die Sonneneinstrahlung, die die Erdoberfläche
erreicht, und erwärmt gleichzeitig die umgebende Luft, wodurch sich
die Temperaturschichtung in der Atmosphäre verändern kann.

In Klimamodellen ist Aerosol bereits als eine der größten
Unsicherheitsquellen anerkannt. Die große Bedeutung der nahtlos
integrierten Chemie-Meteorologie-Modellierung wird jedoch in den
NWV-Modellen weniger berücksichtigt als traditionell bei der
Klimamodellierung. Die meisten gängigen operationellen NWV-Modelle
lösen die Aerosolprozesse nicht explizit auf. Letztere nutzen
vielmehr oft klimatologische Aerosolverteilungen und -konzentrationen
mit grober räumlicher und zeitlicher Auflösung, um den Rechenaufwand
überschaubar zu halten. Im Gegensatz zu Treibhausgasen ist Aerosol
jedoch auch ein kurzfristiger Wetter- und Klimatreiber, der sich
durch große räumliche Heterogenität und erratische Fluktuation
auszeichnet, so dass eine klimatologische Näherung nicht in der Lage
ist, die zeitlich veränderlichen Auswirkungen von Aerosol auf die
Wettervorhersage gut darzustellen. Neben den hohen Rechenkosten für
die integrierte Chemie-Meteorologie-Modellierung sind die Hauptgründe
für die weniger ausgefeilte Behandlung von Aerosol auch darin zu
sehen, dass operationelle NWV-Modelle dank der raschen Fortschritte
bei der Datenassimilation eine viel bessere Leistung erreicht haben.
So können Lücken einiger fehlender Prozesse, wie z.B. Aerosol,
potenziell geschlossen werden.
Anhand von Analysen (Beobachtung gegen Vorhersage), verfügbaren
Messungen und der Modellsimulationen wurde in Studien festgestellt,
dass die Verzerrung der Lufttemperaturvorhersage in vielen Regionen
mit verschiedenen Aerosolarten zusammenhängen könnte. Auch die
rasante Entwicklung der NWV-Modelle, die rasche Entwicklung von
Hochleistungscomputern und die umfangreichen Beobachtungen, die für
die Datenassimilation zur Verfügung stehen, ändern daran nur wenig.
Die Verzerrungen bei der Vorhersage der Lufttemperatur sind in den
Vertikalprofilen und auch in den jahreszeitlichen Schwankungen für
verschiedene Arten von Aerosol über verschiedenen Untergründen
(Oberflächen) unterschiedlich. Im Allgemeinen macht sich der
Verdunkelungseffekt von Aerosol in Regionen mit hoher
Aerosolbelastung über dem Land bemerkbar. Beispiele dafür sind Indien
und China mit starkem anthropogenen Aerosol und Teile Afrikas mit
starkem Rauch und Staub, oder auch Regionen mit starken
Aerosol-Wolken-Wechselwirkungen, z. B. im rauchigen Amazonasgebiet
und in den durch Biomasseverbrennung verstärkt gebildeten niedrigen
Wolken im südlichen Atlantik. Die Erwärmungseffekte von Aerosolen
sind komplexer, insbesondere in abgelegenen Gebieten und auf den
Ozeanen, wo entweder die Wechselwirkung zwischen Aerosol und
Strahlung oder die Wechselwirkung zwischen Aerosol und Wolken eine
wichtige Rolle spielen könnte.
Langfristig besteht die ultimative Lösung jedoch in der Entwicklung
und Anwendung weiterer operationeller NWV-Modelle, die die
physikalischen und chemischen Prozesse des Aerosols vollständig
beschreiben, sowie in der Kopplung einer detaillierten
Charakterisierung ihrer räumlich-zeitlichen Variationen.
Beispiele für die Umsetzung einer besseren Simulierung von Effekten
der "Aerosol-Wolken-Niederschlag"-Wechselwirkung sind u.a. die
Forschungen im Rahmen des SINFONY-RUC-Modells beim DWD (https://www.dwd.de/DE/forschung/forschungsprogramme/sinfony_iafe/sin
fony_node.html).


Dipl.-Met. Dr. Jens Bonewitz
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.06.2023

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