Thema des Tages

06-09-2023 13:50


Wissenschaft kompakt
Kleine Gewitterkunde - Teil 4: Mesoskalige konvektive Systeme

Schließen sich Gewitter zu einem größeren Gewitterkomplex zusammen,
so spricht man von einem mesoskaligen konvektiven System, welches im
heutigen Thema des Tages beschrieben wird.
Auf der einen Seite bringen Gewitter während einer sommerlich warmen
oder heißen Witterungsperiode eine willkommene und erfrischende
Abkühlung und vertreiben dabei die unangenehme Schwüle. Sie schenken
uns und der Natur Regen, der uns das Gießen im Garten erspart und der
Vegetation das für Wachstum und Überleben notwendige Wasser. Auf der
anderen Seite besitzen schwere Gewitter aber auch ein erhebliches
Zerstörungspotential durch Hagelschlag, Sturmböen oder extreme
Regenfälle und können für Menschen, die sich im Freien aufhalten,
sogar lebensgefährlich werden.


Typische Hitzegewitter (Einzelzellen) bringen nur sehr lokal heftige
Niederschlage. Man könnte daher leicht den Eindruck bekommen, die
Gewitter zögen allzu oft an einem vorbei. Manchmal bekommt man von
den Gewittern gar nichts mit und hält dadurch die Wettervorhersage im
Radio, TV oder vom DWD sogar für falsch, da die für die Region
angekündigten Gewitter scheinbar ausbleiben.


Anders verhält es sich bei den sogenannten "konvektiven mesoskaligen
Systemen" (engl. "mesoscale convective system", kurz: MCS). Dabei
handelt es sich um einen Zusammenschluss mehrerer Gewitter zu einem
größeren Gewitterkomplex, der über mehrere Stunden anhält. Schon
allein wegen seiner Größe, aber auch wegen der längeren Lebensdauer,
werden bei einem MCS deutlich größere Gebiete von Böen und/oder
Starkregen getroffen. Ein solches MCS zog beispielsweise am 16.
August dieses Jahres über die Mitte Deutschlands hinweg und brachte
vor allem dem Rhein-Main-Gebiet extreme Regenmengen, die u.a. den
Frankfurter Flughafen unter Wasser setzten.


Typischerweise kündigt sich ein solcher Gewitterkomplex schon einige
Zeit vor Eintreffen der eigentlichen Gewitterzone zunächst mit immer
dichter werdenden hohen und weiß erscheinenden Wolkenfeldern an. Es
handelt sich hierbei um den sogenannten Cirrus-Wolkenschirm, der sich
am Oberrand der Troposphäre (ca. 10-12 km Höhe) horizontal
ausbreitet. Einige Zeit später erscheint dann meist im Westen oder
Südwesten eine breite "schwarze" Wolkenwand am Horizont, die langsam
immer näherkommt. Dann hört man auch das erste Donnergrollen aus der
Ferne. Entsteht das MCS erst am späten Abend oder in der Nacht, dann
kann man häufig ein imposantes Wetterleuchten am Firmament
beobachten, so auch beim MCS vom 16. August 2023. Noch vor dem Regen
kündigen sich die Gewitter schließlich durch eine Böenfront an. Der
Wind frischt schlagartig stürmisch auf. Teilweise verursachen schwere
Sturmböen, in Einzelfällen sogar Orkanböen größere Schäden wie
umgestürzte Bäume oder abgedeckte Dächer. Erst nach dem Sturm setzt
dann kräftiger Regen ein, der anschließend in leichten bis mäßigen
"Landregen" übergeht.


Mesoskalige konvektive Systeme entstehen zunächst aus einzelnen
Gewittern, die sich zumeist am Nachmittag und Abend zu einem größeren
Gewitterkomplex zusammenschließen. Dieser erreicht eine horizontale
Ausdehnung von 100 Kilometern und mehr. Die Form eines MCS kann sehr
unterschiedlich sein. Mal ist der Wolkenschirm fast kreisförmig oder
oval, mal organisieren sich die Gewitter eher linienförmig. Bei
letzterem spricht man von einer "Squall-Line", die im nächsten und
vorläufig letzten Artikel dieser Reihe erläutert wird. Vor allem im
Anfangsstadium sind die Gewitter oft noch mit heftigem Platzregen und
Hagel begleitet, während im fortgeschrittenen Stadium des MCSs ein
zunehmend größer werdendes Regengebiet entsteht, in dem die
Intensität des stärksten Niederschlags allmählich abnimmt. Dagegen
rücken die Sturmböen mehr in den Fokus.


Die größte Form eines MCSs ist der sogenannte "mesoscale convective
complex" (kurz: MCC). Um einen Gewitterkomplex als MCC bezeichnen zu
können, müssen mehrere Bedingungen gegeben sein. Zum einen definiert
sich ein MCC über die Temperatur am oberen Rand der Wolke. Dabei ist
die Temperatur, die die Wolke nach oben ins Weltall abstrahlt, umso
niedriger, je höher die Wolke ist. Diese abgestrahlte Temperatur wird
mithilfe von Satelliten bestimmt. Man spricht nun von einem MCC, wenn
gleichzeitig die Fläche mit Wolkenoberflächentemperaturen kleiner -32
°C größer als 100.000 Quadratkilometer (ca. 360 km Durchmesser bei
kreisförmigem MCC) und die Fläche mit Temperaturen kleiner -52 °C
größer als 50.000 Quadratkilometer (ca. 250 km Durchmesser) ist.
Zudem müssen diese Verhältnisse mehr als sechs Stunden andauern. Der
wohl heftigste MCC, der Deutschland in den letzten Jahrzehnten
heimgesucht hat, war übrigens das Pfingstmontags-Unwetter vom 9. Juni
2014 (siehe Themen des Tages vom 7. und 9. Juni 2019).


Dr. rer. nat. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.09.2023

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst