Thema des Tages

13-10-2023 10:50


Wissenschaft kompakt
(Un)Wetterwarnungen des DWD - Teil 2: Gibt es die "perfekte Warnung"?


Heute erklären wir den Weg von einer groben Wettereinschätzung hin
zur Gemeinde-genauen Warnung.

Im Tagesthema vom 07. Oktober wurde erklärt, dass (Un)Wetterwarnungen
des Deutschen Wetterdienstes (DWD) für unterschiedlichste Zielgruppen
relevant sein können. Heute geht es darum, inwieweit die hohen
Anforderungen erfüllt werden können, die viele Kunden an diese
Warnungen stellen.

Zusammengefasst sollte die Bevölkerung frühzeitig, präzise und
ortsgenau vor Wettergefahren informiert werden. Frühzeitig, damit
Großveranstalter sowie Privatpersonen rechtzeitig Schutzvorkehrungen
treffen können. Steht der Keller von Michael Nassfuß (Name fiktiv)
bereits unter Wasser, hilft ihm eine Starkregenwarnung nichts mehr.
Präzise, denn Aussagen wie "es wird stürmisch" oder "es schneit
kräftig" reichen nicht aus. So könnte man sich unter der ersten
Aussage stürmische Böen (um 65 km/h) oder schwere Sturmböen (um 100
km/h) vorstellen. Würden bei ersterem nur Äste von Bäumen abbrechen,
können bei schweren Sturmböen Bäume umstürzen und Häuser beschädigt
werden. Zuletzt ist wichtig, WANN und WO mit gefährlichem Wetter zu
rechnen ist. Schneit es nur oberhalb von 800 m oder bis in die
Niederungen? Welche Orte werden vom Gewitter mit Hagel und Sturmböen
erfasst?

Vielleicht ahnen Sie bereits, dass die "perfekte Warnung", die alle
drei Anforderungen optimal erfüllt, kaum möglich ist. Dies
veranschaulicht beigefügte Grafik. Liegt das Wetterereignis noch
viele Tage in der Zukunft, ist die Unsicherheit groß, die Präzision
und Regionalisierung gering. Oft sind mehrere Tage im Voraus noch
unklar, wie stark der vorhergesagte Sturm ausfällt, wohin er genau
zieht oder ob er überhaupt eintritt. Kurz vor Eintreffen des
Unwetters kann es zwar genau lokalisiert und dessen Stärke sicher und
präzise vorhergesagt werden, für eine Warnung wäre es aber
möglicherweise schon zu spät. Wie geht der DWD mit diesem Dilemma um?


Die Lösung ist ein dreigliedriges Warnsystem. In Phase 1, der
sogenannten "Wochenvorhersage Wettergefahren" werden mögliche
Wettergefahren der kommenden 7 Tage aufgeführt. Mithilfe der
Ergebnisse aus Vorhersagemodellen analysiert der
Mittelfristmeteorologe, wie sich die Wetterlage im Laufe der
kommenden Woche entwickelt und welche Wettergefahren möglicherweise
zu erwarten sind. Zur Beurteilung der Unsicherheit der
Wettervorhersage, sichtet er gleich mehrere Modelle verschiedener
Wetterdienste. Sagt beispielsweise das eine Modell in sechs Tagen
eine schwere Sturmlage vorher und ein zweites Modell eine ruhige
Hochdrucklage, so ist die Vorhersage offenbar noch sehr unsicher.
Zusätzlich werden sogenannte Ensembleprognosen betrachtet. Dabei
handelt es sich um eine Vielzahl von Vorhersagen des gleichen Modells
mit leicht variierenden Anfangsbedingungen. Je stärker sich die
einzelnen Prognosen unterscheiden, desto unsicherer ist die Prognose.
Die "Wettervorhersage Wettergefahren" liefert also frühzeitig
Informationen und Wahrscheinlichkeitsaussagen zu warnwürdigen
Wetterereignissen, präzise und ortsgenau sind diese aber noch nicht.

Maximal zwei Tage (in der Regel aber 24 Stunden) vor dem
Wetterereignis beginnt Phase 2, die sogenannten "regionalen
Warnlageberichte". Diese enthalten die erwarteten Wettergefahren für
jedes Bundesland. Nun stehen den Meteorologen hochaufgelöste
Vorhersagemodelle zur Verfügung, mit denen die Intensität möglicher
Wetterereignisse meist schon relativ präzise beurteilt und
lokalisiert werden können. Dennoch spielen
Wahrscheinlichkeitsaussagen weiterhin eine wichtige Rolle. Erwarten
wir eine überörtliche Unwetterlage, wird zusätzlich zu den
Warnlageberichten etwa 12 bis 24 Stunden im Voraus eine
"Vorabinformation Unwetter" (rot schraffierte Gebiete auf der
Warnkarte) sowie ein Unwetterclip erstellt, beides zu finden auf der
DWD-Homepage oder in der WarnWetter-App.

Die letzte Phase ist die "Gemeinde-genaue (Un)Wetterwarnung", in
denen nun konkrete Angaben zur Stärke und Dauer der Wettergefahr
gemacht werden. Der Zeitpunkt der Ausgabe hängt allerdings vom
Wetterereignis ab. Bei einer relativ sicher eintretenden großräumigen
Sturmlage werden Warnungen bis zu 24 Stunden im Voraus ausgegeben.
Bei kleinräumigen Ereignissen (z.B. Gewitter) ist dies allerdings
nicht möglich. Eine Gemeinde-genaue Gewitterwarnung kann erst einige
Minuten bis etwa eine Stunde vor Eintreffen erfolgen. Sie ist präzise
und ortsgenau, aber nicht mehr unbedingt frühzeitig.

Zum Schluss machen wir die Funktionsweise des dreigliedrigen
Warnsystems an einem Beispiel deutlich. Der Veranstalter eines großen
Volksfestes im Sommer kann bei Beachtung der ?Wochenvorhersage
Wettergefahren? sich bereits Tage zuvor auf eine mögliche gefährliche
Gewitterlage einstellen. Am Vortag erhält er durch die
?Warnlageberichte? und eine mögliche ?Vorabinformation? genauere
Informationen über potentielle Wettergefahren und kann Personal
bereitstellen oder sonstige Vorkehrungen für einen Notfall treffen.
Die eigentliche Gewitterwarnung hilft ihm letztendlich bei der
Entscheidung zur Evakuierung des Festivalgeländes.

Auch wenn jede dieser drei Phasen für sich gesehen unzureichend
wären, kommt man mit deren Kombination den Anforderungen an eine
"perfekte Warnung" bestmöglich heran.


Dr. rer. nat. Markus Übel (Meteorologe)
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.10.2023

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