Thema des Tages

21-10-2023 12:20


Wissenschaft kompakt
Ein Zyklus, der das Auge tropischer Stürme mit der Zeit verändert


Im heutigen Thema des Tages wird ein Phänomen erklärt, das immer
wieder bei der Vorhersage der Intensität von Tropenstürmen für
Überraschungen sorgt und bis heute Gegenstand der aktuellen Forschung
ist: der sogenannte "eyewall replacement cycle".


In einigen Themen des Tages der jüngeren Vergangenheit
(Stichwortsuche: "Stadion-Effekt") wurde besonders die
Herangehensweise der Intensitätsabschätzung tropischer Stürme
betrachtet. Dadurch geriet die Dynamik dieser Stürme etwas in den
Hintergrund, weshalb wir uns heute mal etwas mehr diesem Thema widmen
wollen. Dazu betrachten wir einen Zyklus, der immer wieder besonders
bei kräftigen Tropenstürmen zu beobachten ist.

Tropenstürme, so zerstörerisch sie auch sein können, sind
grundsätzlich recht anfällige, wenn nicht manchmal sogar fragile
Gebilde, die auf atmosphärische Veränderungen in der Umgebung
reagieren. Erhöht sich die Windscherung (Änderung der
Windgeschwindigkeit und -richtung mit der Höhe), dann erfolgt nicht
selten eine Abschwächungsphase. Wird eine trockenere Luftmasse zum
Zentrum des Sturmes geführt, dann schwächelt die Konvektion und somit
auch das gesamte System und natürlich muss auch eine nachhaltige
(negative) Beeinflussung beim Kontakt mit einer Landmasse oder Insel
erwähnt werden.

Doch selbst wenn all diese Bedingungen nicht gegeben sind und der
Tropensturm in einer scherungsarmen und feuchten Umgebung über sehr
warmes Meereswasser zieht, unterläuft das System trotzdem
Intensitätsschwankungen. Diese werden durch innere dynamische
Prozesse hervorgerufen. Dabei handelt es sich um sogenannte ?eyewall
replacement cycles?, oder auf Deutsch und etwas freier übersetzt:
?ein oder mehrere Zyklen, die die bestehende Augenwand ersetzen?.

Die Augenwand ist ein Teil der Dynamik, die einen Tropensturm
ausmacht. Dank eines sich immer weiter vertiefenden Kerndrucks des
Systems etabliert sich ein sogenannter ?inflow?, also eine Strömung
mit warmer und feuchter Luft, die mehr oder weniger direkt ins
Zentrum des Sturmes gerichtet ist. Diese Luftmasse ist labil
geschichtet und somit bereit zum Aufsteigen. Das gelingt ihr in der
Nähe zum Zentrum des Sturms, wo die Luftmasse zum Aufsteigen
gezwungen wird und sich mächtige Schauer- und Gewitterwolken bilden.
Direkt über dem Zentrum entwickelt sich eine Art Ausgleichsströmung,
die sich durch kräftiges Absinken auszeichnet. Dank starker
Abtrocknung bildet sich dadurch das typische wolkenarme oder gar
wolkenfreie Auge aus. Hier ist der Wind kaum zu spüren, während
dieser nur wenige Kilometer entfernt innerhalb der Augenwand mit
Böenspitzen deutlich jenseits der Orkanschwelle tobt. Wer die Passage
eines solchen Auges erlebt hat, der sieht an dessen Rand, dass die
kräftigen Schauer und Gewitter drohend wie eine riesige Wand das Auge
umrahmen, weshalb dieser Bereich auch als Augenwand (engl. eyewall)
bezeichnet wird. Wer sich das mal bildlich anschauen möchte, kann das
im Thema des Tages vom 07.09.2023 gerne machen.

Nun kommt es immer wieder vor, dass sich die zentrumsnahe Augenwand
abschwächt und sich eine zweite, weiter vom Zentrum entfernte
Augenwand entwickelt. Vermutungen, wie dieser Prozess abläuft, gibt
es viele, doch bis heute ist dieser Prozess Gegenstand intensiver
Forschung. Folgende Ansätze gibt es zu nennen:

Sollte der Augendurchmesser zu klein werden, dann verliert die
Konvektion irgendwann an Struktur/Organisation und es bildet sich
eine neue Augenwand aus.

Eine andere Option besagt, wenn die Windgeschwindigkeit zu hoch wird,
kommt es irgendwann zu einem turbulenten Zusammenbruch des
Windfeldes. Dieser Zusammenbruch schwächt wiederum die Augenwand ab.
Eine Neubildung erfolgt dann in dem Bereich, wo das Windfeld nicht so
turbulent ist, was in größerer Entfernung zum Zentrum des Sturms der
Fall ist.

Die letzte Variante ist die, dass eine Zunahme der Konvektion
außerhalb der inneren Augenwand so viel Feuchtigkeit und Energie
benötigt, dass diese der ersten Augenwand fehlen. Diese Entwicklung
führt dann letztendlich zum Zusammenbruch der inneren Augenwand.

Welche dieser Varianten letztendlich der Wahrheit entspricht oder ob
es gar eine Mischung aus all diesen Varianten ist, wird sich in
Zukunft mit weiteren Messkampagnen sicherlich noch zeigen.
Was sind denn die Folgen eines solchen Zyklus? Die erste Konsequenz
ist ein Abschwächen des Tropensturms bzw. ein Ansteigen des
Kerndrucks, da der Motor des Systems vorübergehend gestört wird. Wenn
sich die Konvektion in Folge des Zyklus abschwächt, dann erfolgt auch
ein geringerer Eintrag latenter Wärmeenergie und in der Folge kann
sich ein Tropensturm um eine, manchmal auch um mehrere Kategorien auf
der Saffir-Simpson Skala abschwächen. Für die leidgeplagte
Bevölkerung, die im Weg eines solchen Tropensturms steht, ist das
natürlich erstmal eine günstige Entwicklung. Weniger schön jedoch
ist, dass sich das Windfeld bei solch einem Zyklus nicht selten
dramatisch ausweitet, sodass z.B. das Risiko einer beträchtlichen
Sturmflut deutlich zunehmen kann.

Doch schauen wir uns diesen Prozess mal an Hand von Bildern an:

Im Satellitenbild vom 23.09.2018 erkennt man, dass der Taifun TRAMI
ein sehr kleines und kompaktes Auge besitzt. Rund 24 h später hat
sich das Erscheinungsbild des zukünftigen Supertaifuns grundlegend
geändert. Der Augendurchmesser hat sich dramatisch vergrößert. TRAMI
war eines der Systeme, die es geschafft haben, dass sich der "eyewall
replacement cycle" kaum auf die Intensität des Sturmes ausgewirkt
hat. Allerdings erkennt man im rechten Bild, dass sich die
Wolkenoberflächentemperatur etwas erwärmt hat (keine gelben, nur noch
rote Farben), sodass wenigstens kurzfristig Auswirkungen in Form
einer geringen Abschwächung und nachlassender Organisation beobachtet
werden konnten. Letztendlich aber erreichte der Sturm noch am selben
Tag den Status eines Supertaifuns. Die Gründe, wieso manche Zyklen
langsamer als andere und mit variablen Intensitätsschwankungen
ablaufen, sind übrigens noch nicht geklärt.

Um durch die Wolken und auf das Windfeld von TRAMI zu schauen,
benutzen wir ein Mikrowellenradar, das von einem (polarumlaufenden)
Satelliten von oben auf den Sturm schaut. Auch hier erkennt man die
dramatische Vergrößerung des Auges. Behält man die rote Farbe
(Windgeschwindigkeiten von 30 m/s oder mehr) im Auge, dann erkennt
man vom 25.09. zum 28.09. eine Aufweitung des Windfeldes (auch
abseits der Tatsache, dass ein variabler Zoom verwendet wurde) ?
weitere Augenwandzyklen beeinflussten TRAMI also auch während dieser
Zeit. Leider liegen für den 23. und 24. September keine Messdaten
vor, denn es ist immer ein Glücksfall, wenn solch ein Sturm die
vergleichsweise enge Spur eines Satelliten kreuzt.

Als ein Glücksfall können die Ereignisse bezeichnet werden, wo so ein
Zyklus vom (normalen) Radar aus verfolgt werden kann (was dann aber
leider auch eine gewisse Nähe des Sturms zum Festland bedeutet). Dies
geschah z.B. 2022 beim Hurrikan IAN, der über das westliche Kuba in
Richtung Florida zog. In a) erkennt man eine dominante Augenwand, die
jedoch wenig später in b) zunehmend von einer zweiten Augenwand
umrahmt wurde. Das Auge weitete sich in der Folge in c) immer weiter
auf und die zweite Augenwand entwickelte sich zur dominanten, während
die erste regelrecht auseinanderbrach. Letztendlich erfolgte dann in
der Folge in d) eine erneute Intensivierungsphase des Hurrikans
direkt vor Landgang in Florida zu einem Kategorie 5 Sturm auf der
fünfteiligen Intensitätsskala. Diesem Sturm fielen über 160 Menschen
zum Opfer und der hier besprochene Zyklus der Augenwand sorgte im
Vorhersagebetrieb für zahlreiche Probleme und Überraschungen mit
Blick auf die finale Intensitätsabschätzung.

Werkzeuge zur Vorhersage der Zyklen gibt es mittlerweile genug, doch
leider bringt einem das beste Werkzeug wenig, wenn der physikalische
Ablauf, der dahintersteckt, bisher nur lückenhaft bekannt ist. Somit
ergeben sich auch heutzutage immer wieder kritische Fälle, wenn z.B.
wie bei Hurrikan IAN ein Tropensturm kurz vor Landgang steht und sich
die Frage stellt, ob ein Augenwandzyklus für eine Abschwächung sorgen
könnte, oder eben nicht. Dahingehend wird es sicherlich noch sehr
viel Forschungs- und Modellierungsarbeit geben und vielleicht gelingt
es irgendwann, diese Zyklen besser vorherzusagen. Was für den Moment
jedoch für den Beobachter bleibt, ist aber die Faszination der
Veränderlichkeit des Aussehens, die solche Zyklen bei kräftigen
Tropenstürmen hervorrufen können.



Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.10.2023

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