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12-11-2023 12:50


Wetter aktuell
Steht Island ein neuer Vulkanausbruch bevor?

Seit drei Wochen bebt es auf Islands Halbinsel Reykjanes wieder.
Freitagnachmittag spitzte sich die Lage deutlich zu - die
Wahrscheinlichkeit für einen baldigen Vulkanausbruch wird von
Experten als hoch eingeschätzt.

Auf Island braut sich etwas zusammen?es bebt und brodelt mal wieder
heftig! Island - die Insel aus Feuer und Eis - ist nämlich nicht nur
bekannt für seine Geysire, facettenreichen Wasserfälle und
ausgedehnten Gletscher, sondern auch berühmt für ihre vulkanische
Aktivität. Spätestens nach dem explosiven Ausbruch des
"Eyjafjallajökull" im Jahr 2010, der den Flugverkehr in Europa
tagelang massiv störte, ist diese Tatsache wohl den meisten bekannt.
Seit März 2021 rückt vor allem die Halbinsel "Reykjanes" südwestlich
der Hauptstadt Reykjavík in den Fokus, auf der sich auch der
internationale Flughafen "Keflavík" (KEF) befindet.

Vulkanserie am Fagradalsfjall

Bevor wir uns den aktuellen Ereignissen widmen, blicken wir kurz auf
die Vulkanserie der letzten Jahre zurück. Anfang 2021 bebte es auf
der Halbinsel Reykjanes mehrere Wochen, was am 19. März in den ersten
Vulkanausbruch seit fast 800 Jahren in dieser Region mündete. Die
anfangs als "winzig kleiner Ausbruch" bezeichnete Eruption hielt
schließlich mehrere Monate an. Jene bildete einen stattlichen
Vulkankrater und ein 4,85 km² großes Lavafeld aus. Da von diesem
Ausbruch keine größere Gefahr ausging und die Stelle zudem leicht
zugänglich war, entwickelte sich der Ort schnell zur
Touristenattraktion. Auch der heutige Autor bewunderte Anfang Juli
das beeindruckende Naturschauspiel. Seitdem kam es dort zu zwei
weiteren Eruptionen. Im August 2022 ereignete sich ein kleiner und
nur gut zwei Wochen andauernder Ausbruch. Im Juli dieses Jahres tat
sich die Erde erneut auf und aus einer ca. 200 m breiten Spalte trat
Lava aus. Diese Eruption hielt immerhin knapp 4 Wochen an und formte
ein etwa 1,5 km² großes Lavafeld. Alle bisherigen Ausbrüche bedrohten
keine kritische Infrastruktur und waren vor allem ein Highlight für
abenteuerlustige Island-Touristen.


Was passiert aktuell auf Reykjanes?

Seit dem 24. Oktober bebt es erneut auf der Halbinsel. Seither wird
die Region mal stärker, mal etwas weniger stark von zahllosen
Erdbeben, sogenannten Schwarmbeben, erschüttert. Bisher haben sich
rund 25.000 Beben ereignet. Zahlreiche dieser erreichten Stärken über
Magnitude 3 (ab der man Beben in der Regel spüren kann), einige sogar
Magnitude 4 (M4) und stärker. Anfangs gingen Experten lediglich von
Spannungsänderungen aufgrund der Verformung der Halbinsel durch die
früheren Eruptionen aus. Bereits nach einigen Tagen ließen aber
Messungen darauf schließen, dass in der Erdkruste in einer Tiefe von
4 bis 5 Kilometern Magma einfließt und sich dort ansammelt. Die
Erdbeben sind eine Reaktion auf Erdspannungen, die durch das
Eindringen des Magmas entstehen. Satelliten- und GPS-Messungen
belegen, dass die Magmaansammlung zu einem Anheben der Landmasse von
einigen Zentimetern geführt hat. Dabei entstehen Risse in der
Erdkruste und Erdbeben, die für einen Abbau der Spannungen sorgen,
sind die Folge. Solche Magmaansammlungen münden nicht immer in einen
Vulkanausbruch. Oft lassen die Schwarmbeben nach einiger Zeit wieder
nach. Bis Freitagmittag gab es keine eindeutigen Hinweise, dass sich
das in rund 4-5 km Tiefe befindliche Magma auf den Weg Richtung
Erdoberfläche machte.

Freitagnachmittag spitze sich die Situation aber schlagartig zu. Die
Erdbeben nahmen sowohl in ihrer Anzahl als auch in ihrer Heftigkeit
rapide zu (siehe Abbildung 1). Zahlreiche Beben der Stärke M4
erschütterten die Region um den Ort Grindavík. Am frühen Abend
ereignete sich sogar ein Beben der Stärke M5.2, welches unter anderem
die Verbindungsstraße zwischen Flughafen und Grindavík teilweise
zerstörte. Auch in Grindavík wurden Straßen und Häuser beschädigt.
Experten zufolge waren dies Anzeichen, dass sich das Magma allmählich
der Erdoberfläche nähert. Ein Vulkanausbruch wurde wahrscheinlicher.


Was unterscheidet die aktuelle Situation von vorherigen Ausbrüchen?

Anders als bei den vorherigen Ereignissen, treten bzw. traten die
meisten Erdbeben weiter westlich auf. Bei einem Ausbruch in dieser
Region könnte auch kritische Infrastruktur betroffen sein. Daher
haben die aktuellen Ereignisse eine deutlich höhere Brisanz. Zum
einen befindet sich dort die bereits erwähnte Verbindungsstraße
zwischen dem Norden (wo sich z.B. der Flughafen befindet) und dem
Süden der Halbinsel. An dieser Straße liegt auch das bei Touristen
beliebte Geothermalbad "Blaue Lagune", das am Freitag vorsorglich bis
auf Weiteres geschlossen wurde. Direkt nebenan befindet sich ein
Kraftwerk, das u.a. den Flughafen mit Strom versorgt. Besonders
dramatisch könnte es allerdings für den Küstenort Grindavík (ca. 4000
Einwohner) werden. In der Nacht zum gestrigen Samstag verlagerte sich
die seismische Aktivität nach Süden Richtung Grindavík. Von den
Behörden wurde am Freitagabend der Notstand für den Zivilschutz
ausgerufen und die Bewohner des Ortes wurden evakuiert.


Basierend auf Satellitenbildern und GPS-Messungen wurden gestern
Modelle erstellt. Sie zeigen einen etwa 15 km langen Magmatunnel
unter der Erde, in dem das Magma fließt (siehe Abbildung 2). Zudem
nähert sich das Magma der Oberfläche. Bereits gestern lag die
geschätzte geringste Tiefe des Magmas bei nur noch 800 m und das
Magma dürfte bis heute weiter aufgestiegen sein. Experten zufolge ist
die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es in den kommenden Tagen jederzeit
zu einem Vulkanausbruch entlang des Magmatunnels kommen könnte. Zwar
hat die Erdbebenaktivität seit gestern Nachmittag stark abgenommen
(siehe Abbildung 3), was aber vor einer beginnenden Eruption nicht
ungewöhnlich ist. Zudem geht man davon aus, dass das starke Erdbeben
vom Freitagabend für einen Spannungsabbau in der Erdkruste gesorgt
hat, wodurch zum einen die Erdbebenaktivität abnimmt und zum anderen
das Magma wahrscheinlich einfacher aufsteigen kann. Die Modelle
deuten ebenfalls darauf hin, dass auch am südlichen Ende des
Magmatunnels Magma austreten könnte. Es besteht also eine erhöhte
Wahrscheinlichkeit eines Vulkanausbruchs auf dem Meeresboden. Dies
würde einen explosiven Ausbruch zur Folge haben.

Es bleibt abzuwarten, ob, wann und wo eine Eruption stattfindet. Den
Bewohnern von Grindavík wünschen wir, dass sie nicht ihr Zuhause
verlieren und Island auch dieses Mal mit einem blauen Auge
davonkommt.



Dipl.-Met. Jens Winninghoff / Dr. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.11.2023

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