Thema des Tages

14-11-2023 15:20


Wetter aktuell

Chaos in der Wettervorhersage


Im Thema des Tages vom 13.09.2023 wurde eine kurze Einführung in die
Chaostheorie mit dem Fokus auf den "Schmetterlingseffekt"
präsentiert. Dabei wurde verdeutlicht, dass die Wettervorhersage ihre
Grenzen hat. Das heutige Thema des Tages zielt darauf ab, die
Einschränkungen mittels der aktuellen Wettervorhersage zu
demonstrieren.


Im Thema des Tages vom 13.09.2023 wurde erläutert, dass die
Vorhersage des Wetters aufgrund der Chaostheorie als nichtlineares,
dynamisches und chaotisches System Grenzen aufgewiesen bekommt. Die
Anfangsbedingungen in der Atmosphäre sind nicht exakt bestimmbar, und
die Wettermodelle bieten lediglich Annäherungen. Doch wie
manifestieren sich diese Grenzen?


Ein konkretes Beispiel verdeutlicht die Wettervorhersage für die
Nacht zum Freitag: Abbildung 1 zeigt den auf Meeresniveau reduzierten
Luftdruck und die Temperatur auf der 850 hPa - Fläche, was bei dieser
Lage etwa einer Höhe von 1400 m entspricht. Links ist die
Wetterprognose des europäischen Modells (ECMWF) dargestellt, in der
Mitte das deutsche Modell (ICON) und rechts das amerikanische Modell
(GFS), jeweils mit einer 78-stündigen Vorhersage für Freitagfrüh.
Auffällige Unterschiede werden sichtbar.

Während sich im GFS und ECMWF am Donnerstag ein Tief über Frankreich
entwickeln soll, das in der Nacht zum Freitag über Deutschland ziehen
und sich im GFS sogar zu einem schweren Sturm entwickeln würde, fehlt
dieses Tief im Deutschen ICON-Modell ganz. Die Entstehung und Zugbahn
dieses Tiefs hängen offenbar entscheidend von den Anfangsbedingungen,
den Näherungen der Modelle (Parametrisierungen) und der zugrunde
liegenden Modellphysik ab. Die Auswirkungen dieses Tiefs beeinflussen
maßgeblich die Vorhersage von Niederschlagsgebieten, Wind, Temperatur
und Bewölkung.

Während das GFS-Modell einen schweren Sturm im Westen vorhersagen
würde, prognostiziert das ICON-Modell vergleichsweise schwache Winde.
Bei der ECMWF-Lösung mit südlicher Zugbahn würden wiederum kräftige
Niederschläge im Schwarzwald und am Alpenrand auftreten. Solche
Modellunterschiede im kurzfristigen Vorhersagezeitraum sind
ungewöhnlich und markieren einen Punkt, an dem die Vorhersage
zumindest vorübergehend ins Chaos abzudriften scheint.

Um das Chaos-Problem zumindest teilweise zu bewältigen, werden
sogenannte Ensemblerechnungen durchgeführt. Das bedeutet, dass ein
Wettermodell mehrmals mit leicht variierten Anfangsbedingungen
berechnet wird. Dies dient einerseits dazu, die Prognosesicherheit zu
bewerten, und andererseits, in unsicheren Fällen dennoch Aussagen zu
ermöglichen. Das ECMWF führt beispielsweise 50 solcher leicht
variierten Modellrechnungen durch (siehe Abbildung 2).

Da jedoch kein Meteorologe die Zeit hat, 50 Wettermodelle einzeln
auszuwerten, wird eine Methode namens Clusteranalyse verwendet, um
die Auswertung zu erleichtern. Dabei werden Vorhersagen mit ähnlichen
Strukturen von einem Algorithmus in sogenannte Cluster eingeteilt. In
unserem Fall ergeben sich 2 Cluster, die etwa gleich viele Mitglieder
haben. Das bedeutet, die Hälfte der Ensemblemodelle zeigt das
angesprochene Tief, während die andere Hälfte die ICON-Variante
bevorzugt (siehe Abbildung 3). Diese Situation erschwert die
Entscheidungsfindung erheblich.

In solchen Fällen kommt es auf die Erfahrungswerte der Meteorologen
an, um festzustellen, welches Modell in bestimmten Situationen die
besten Vorhersagen liefert. In ähnlichen Situationen war es oft so,
dass sich mit Annähern an das Ereignis ICON und die übrigen Ensembles
dem ECMWF-Hauptlauf angenähert haben. Daher wagen wir die Annahme,
dass es eher wahrscheinlich ist, dass ein Tiefdruckgebiet in bisher
nicht vorhersagbarer Intensität und Zugbahn irgendwo über die Mitte
oder den Süden Deutschlands ziehen könnte.

Eine zusätzliche Methode zur Auswertung von Ensembleprognosen besteht
darin, Wahrscheinlichkeiten aus den einzelnen Modellläufen zu
berechnen. Dies könnte als eigenes Thema des Tages behandelt werden.

Es ist wichtig zu betonen, dass Unsicherheiten im Kurzfristbereich
nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch der Mittelfristbereich
unsicher ist. Zum Wochenende hin prognostizieren die Modelle wieder
einheitlich ein neues Atlantiktief, das auf einer West-Ostzugbahn
über das nördliche Mitteleuropa zieht. Dieses Tiefdruckgebiet wird
voraussichtlich mit seinem Sturmfeld wechselhaftes Wetter bringen.
Die Warmfront des Systems wird dann vor allem im Norden für
regnerisches, aber sehr mildes Wetter sorgen. Die Vorhersage für
dieses Tiefdruckgebiet ist im Vergleich zu kurzfristigen Prognosen
sicherer, da es sich um ein großes System handelt und große
Strukturen in Modellen generell besser vorhergesagt werden können.


Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.11.2023

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