Thema des Tages

01-12-2023 15:20


Wissenschaft kompakt
Eisdecke betreten. Wie entscheiden, ob es gefahrlos ist??

Auf einem zugefrorenen See zu laufen, oder mit Schlittschuhen
dahinzugleiten ist wunderbar und eröffnet ganz besondere
Perspektiven. Nur leider ist es oft nicht klar, ob die Eisdecke
zuverlässig trägt. Deswegen hier ein kleiner Ratgeber zu dem Thema.

Der Winter ist eingekehrt in Deutschland und mit ihm auch frostig
kaltes Wetter. Erste zarte Eisdecken bilden sich auf den See, doch ab
wann kann man eigentlich Schlittschuhlaufen oder zugefrorene Seen und
Teiche betreten?

Zunächst einmal braucht es eine Weile, bis das Wasser der Seen soweit
abgekühlt ist, damit sich eine Eisdecke bilden kann. Denn, solange,
wie sich in einem See noch Wasserschichten mit Temperaturen von über
4 Grad Celsius befinden, treiben diese aufgrund der Anomalie des
Wassers nach oben und verdrängen das oberflächlich kältere Wasser
nach unten.


So kommt es, dass viele Seen am Anfang des Winters selbst nach
einigen Tagen Dauerfrost und strengem Frost in den Nächten keine Spur
von Eisdecke zeigen. Es braucht oft bis in den Januar hinein, bis die
größeren Seen anfangen vom Ufer her zu vereisen. Wenn das Wasser auch
in der Tiefe durchgehend auf 4 Grad Celsius abgekühlt ist, dann kommt
die thermische Zirkulation im See zum Erliegen und es gibt kein
?leichteres? Wasser mehr, als das kalte Wasser an der Oberfläche.
Also bleibt es oben und kann sich durch Wärmeabstrahlung bei
vorhandener Frostluft weiter abkühlen. Bei ausreichender Andauer des
Frostes bildet sich eine Eisdecke. Diese wächst umso mehr an, je
länger Frosttemperaturen darauf einwirken und je tiefer die
Lufttemperatur ist. Es gilt also grundsätzlich: Je später der Winter,
umso größer ist die Chance, dass ein See zufriert.

Allerdings ist diese Schilderung sehr vereinfacht. In Wirklichkeit
ist die Eisbildung bei jedem Gewässer anders und im Wesentlichen von
folgenden zusätzlichen Faktoren abhängig:
Die Tiefe des Sees: Je tiefer ein See, umso größer ist der ?Vorrat?
an warmem Tiefenwasser (wärmer als 4 Grad Celsius), welches durch die
geringere Dichte zur Oberfläche aufsteigt.
Stärkerer Wind: Unterstützt die Durchmischung der Wasserschichten.
Das führt bei flachen Seen zu einer Beschleunigung der
oberflächlichen Abkühlung, bei tiefen Seen zu einer Verzögerung.
Grundwasserzufluss: Je mehr Grundwasserzufluss ein See hat, umso mehr
Nachschub von Wasser, dass wärmer als 4 Grad ist, besteht. Das
verzögert die Eisbildung und führt in einem See zu Regionen mit
dünnerer Eisdecke. So frieren Baggerseen oder Tagebaurestlöcher, die
Hauptsächlich durch Grundwasser gespeist werden, meist spät und
selten zu. Aufgrund der thermischen Trägheit des Erdbodens hat das
Grundwasser in etwa 7 m Tiefe erst im November/Dezember seinen
Maximalwert im Jahresgang.
Zufluss warmer Abwässer.
Aufsteigende Faulgase oder Luft.
Salzhaltiges oder chemisch verunreinigtes Wasser.
Wetter: Kommt es bald (1 bis 2 Tage) nach der ersten Eisdeckenbildung
zu einer Schneedecke, dann stellt diese eine Isolationsschicht dar,
die ein weiteres Anwachsen der Eisdecke verlangsamt.

Bei sibirischen Temperaturen, mit wochenlangem Dauerfrost bekommt die
Natur auf fast jedes Gewässer eine tragfähige Eisdecke gezaubert.
Aber das ist in mitteleuropäischen Gefilden sehr selten. Die optimale
Wetterlage dafür wäre ein beständiges Hoch über Skandinavien oder
Westrussland. Dadurch könnte osteuropäische Kaltluft zu uns fließen,
die es vor allem von Ende Januar bis März dort gibt. Wenn diese
wenigstens eine Woche lang bei uns liegt und der Herbst und Winter
bis dahin schon längere Frostperioden hatten, die den Erdboden etwas
vorgekühlt haben, dann frieren die Seen zu. Wenn die Temperaturen
aber bis dahin mild waren, dann reicht eine Woche Dauerfrost nicht
aus.

Die Eisqualität: Abhängig von der Witterung bei Bildung der Eisdecke
ist deren Qualität: Im optimalen Fall beginnt nach Erreichen der
Winterstagnation (Bild 1) eine wie oben beschriebene Hochdrucklage
mit Dauerfrost, ohne Niederschlag und wenig Wind. Dann kann in einer
klaren windstillen Nacht bei strengem Frost der See zufrieren. Die
dabei entstehende Eisdecke ist spiegelglatt. Bei weiterem Dauerfrost
wächst die Dicke der Eisdecke weiter an und es entsteht glattes,
sogenanntes "schwarzes" Eis, ohne wesentliche Lufteinschlüsse. Eine
solche Eisdecke ist sehr tragfest und stabil. Dieses optimale
Szenario ist aber in unseren Breiten selten und im Zuge der
Klimaerwärmung sinkt die Wahrscheinlichkeit dafür auch in
Skandinavien. Viel wahrscheinlicher ist es, dass auf frostige Nächte
frostfreie Tage folgen. Dadurch wird die Eisdecke zunächst nur dünn
bleiben, wieder antauen und kann eventuell von Wind aufgebrochen
werden. Außerdem kann es passieren, dass Schnee auf eine Eisdecke
fällt und dieser durch Tauwetter, Regen oder durch aus Spalten
aufsteigendes Wasser zu Schneematsch wird und anschließend wieder
gefriert. Dann bildet sich "weißes" Eis mit teils größeren
Inhomogenitäten und spröden Zwischenschichten. Eine solche Eisdecke
trägt deutlich schlechter. Der Unterschied der Tragfähigkeit zu
gleichdickem "schwarzen" Eis kann den Faktor 10 erreichen. Es gibt
aber unendlich viele Zwischenstufen, je nach Witterung während des
Gefrierens.

Soweit zur Theorie. In der Praxis stellt sich die Frage: "Kann man
auf das Eis gehen oder nicht?"
Als Tragfähigkeit für "schwarzes" Eis gilt folgende Faustformel:
Tragfähigkeit (Kg) = 5 h² h= Eisdicke in cm

Demnach könnte eine Eisdecke schon ab 5 cm theoretisch einen Menschen
tragen und ab 8 cm eine Gruppe. Da aber häufig kein reines
"schwarzes" Eis vorhanden ist und da die Eisdicken im See
unterschiedlich sind, wird von der Deutschen
Lebensrettungsgesellschaft als Richtlinie folgendes angegeben:
Stehende Gewässer soll man erst ab einer Eisdicke von 15 cm und
fließende Gewässer ab einer Eisdicke von 20 cm betreten. Man beachte
aber, dass unter Brücken, in Bereichen von Zu- und Abflüssen,
zwischen Schilfbewuchs, über starken Grundwasserzuflüssen und über
aufsteigendem Faulgas oder Luft das Eis weniger dick ist.

Flache Gewässer: Ein knietiefer Dorfteich oder eine flach
überflutete Wiese frieren viel schneller zu, als alle anderen
Gewässer. Selbst wenn das Eis bricht, ist die Gefahr beherrschbar,
wenn der Untergrund nicht zu sumpfig ist. Deshalb sind diese für die
ersten Gehversuche auf dem Eis optimal.

Tiefe Gewässer: Bei tiefen Gewässern sollte man sich an die
Richtlinie 15 bis 20 cm halten. Bei deutlich vorherrschendem "weißen"
Eis und großer Last auf dem Eis (kompakte Schneedecke, viele
Menschen, usw.) sollte man zur Sicherheit nicht unter 20 cm
akzeptieren. Die Kommunen können Informationen über die Begehbarkeit
der Gewässer herausgeben. Diese können in der lokalen Presse oder im
Internet zu finden sein. Auch ein Anruf bei der Kommune kann Klarheit
bringen.

Risse durch Eisbewegungen: Das Eis trägt zum größten Teil deswegen,
weil es auf dem Wasser schwimmt. Deshalb macht es
Wasserspiegelschwankungen mit. Bei sinkenden Temperaturen, z.B. in
der Nacht, schrumpft die Eisoberfläche, was zu Kontraktionsspalten an
der Oberfläche führt. Diese laufen mit Wasser voll und frieren wieder
zu. Das Aufreißen ist häufig mit lauten Knallgeräuschen verbunden.
Bei steigender Temperatur dehnt sich die Eisoberfläche aus und es
kommt zu Biegezugrissen an der Untergrenze. Dies ist mit pfeifenden
Geräuschen verbunden. Wenn die Eisdecke vorher getragen hat und der
Frost mit nur unwesentlichen Unterbrechungen am Tage anhält, stellen
diese Effekte keine große Gefahr dar. Das Wasser in den Rissen
gefriert wieder. Sie verschlechtern lediglich die Eisoberfläche zum
Schlittschuhlaufen. Durch häufige starke Temperaturschwankungen
können aber auch größere Verwerfungen in der Eisdecke entstehen. Wenn
es größere Hebungen mit übereinander geschobenen Eisplatten gibt,
kann es auch nach unten gedrückte Eisplatten geben, die
Einbruchgefahr bedeuten!


Risse durch Überlastung: Bei Belastung der Eisdecke senkt sie sich
einige Zentimeter nach unten. Bei zu starker Belastung reißen an der
Unterseite Radialrisse ein und bei anhaltender Überlastung folgen
Tangentialrisse auf der Oberfläche. Dann steht der Einbruch
unmittelbar bevor. Grundsätzlich sind bewegte Lasten weniger
einbruchgefährdet, als stationäre Lasten.


Frühjahr: Bei Tauwetter nehmen die Spaltenbildungen Tag für Tag zu
und einzelne Schollen lösen sich. Zunehmende Sonnenstrahlung macht
das Eis spröde und morsch, weil die Kristallstruktur durch internes
Anschmelzen runder und weicher wird. Dadurch wird die gesamte
Eisdecke brüchiger und das Ende der Betretbarkeit ist gekommen.

In vielen Regionen Deutschlands gilt das Zufrieren größerer
Wasserflächen als etwas Besonderes und dann finden traditionell
kleinere oder größere Volksfeste auf dem Eis statt. So zum Beispiel
auf der Außenalster in Hamburg, im Spreewald bei Lübbenau und Burg,
auf Teilen des Bodensees, um nur einige zu nennen. Vielleicht gibt es
ja in diesem Winter viele zugefrorene Gewässer? Dann hoffen wir
darauf, dass die Menschen Vernunft vor Mut stellen und keine
schlimmen Einbrüche passieren.

Dipl.-Met.(FH) Jens Oehmichen zusammen mit Dipl.-Met. Marcel Schmid


Deutscher Wetterdienst
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Offenbach, den 01.12.2023

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