Thema des Tages

21-12-2023 14:50


Wetter aktuell
Wenn Atmosphärische Flüsse das Meereiswachstum zum Stillstand
bringen?

Aufgrund einer persistenten Wetterlage pausierte das saisonale
Meereiswachstum in der Arktis in der dritten Dekade des Novembers
fast vollständig. Welcher Zusammenhang dabei zu atmosphärischen
Flüssen besteht und wie sich die aktuelle Eisausdehnung in die
langjährigen Beobachtungsreihe einreiht, klären wir im heutigen Thema
des Tages.

Kurz nach unserer letzten Analyse an dieser Stelle (siehe Thema des
Tages vom 11.09.2023) wurde Mitte September das jährliche arktische
Meereisminimum mit 4,33 Millionen Quadratkilometer erreicht und nahm
damit den siebten Platz in der Messreihe der geringsten
Meereisausdehnung ein, die seit 1979 mittels Satellitendaten
kontinuierlich erfasst wird. Im Vergleich zum vieljährigen Mittel
1981-2010 rangierte die Meereisausdehnung im ganzen Jahr 2023 am
unteren Rand der Spannbreite und vor allem in den Monaten August und
September auch unter den Vorjahreswerten (siehe Abbildung 1). Mit dem
Beginn des langen arktischen Winters hat die Ausdehnung des Meereises
überdurchschnittlich stark zugenommen. Ende Oktober hatte die
Eisdecke die sibirische Küste erreicht, während an den Küsten der
Beaufort- und Tschuktschensee weiterhin offenes Wasser vorhanden war.


Auch bis weit in den November hielt das leicht überdurchschnittliche
Meereiswachstum an, wobei die Expansion vor allem in der Baffin Bay
und in der südlichen Beaufortsee dominierte. Gemittelt über den Monat
lag die tägliche Zunahme der Eisbedeckung bei 70.800
Quadratkilometern (langjähriges Mittel 1981-2010: 69.500
Quadratkilometer), was in etwa der Fläche Irlands entspricht. Die
durchschnittliche Meereisausdehnung in der Arktis betrug im November
2023 9,66 Millionen Quadratkilometer und rangiert damit zusammen mit
dem November 2006 auf dem siebtniedrigsten Rang in der 45-jährigen
Satellitenaufzeichnung.

Ab dem 22. November kam das Zufrieren vorübergehend für einige Tage
nahezu zum Stillstand. Ursächlich war eine vom 21. bis zum 28.
November andauernde Serie von drei kräftigen Tiefdruckgebieten. Diese
schlugen eine sehr ähnliche Zugbahn ein, die sich von der
Nordostküste Grönlands ostwärts entlang des nördlichen Randes der
Barents-, Kara- und Laptev-See erstreckte. Auf dem Weg in den
Arktischen Ozean verschmolzen die Tiefs mit ihren Vorgängern, so dass
ein anhaltendes zyklonales (gegen den Uhrzeigersinn rotierendes)
Windsystem entstand. Sowohl der erste als auch der dritte dieser
Stürme hatten ihren Ursprung in der Region des Islandtiefs, bevor sie
die Ostseite Grönlands hinaufwanderten. Das zweite Tiefdrucksystem
entstand unmittelbar nördlich von Grönland. Gleichzeitig entwickelte
sich ein Hochdruckzentrum über dem eisfreien Teil der Barentssee aus,
das vom 26. bis 28. November besonders stark wurde.

Diese Kombination aus anhaltendem Tiefdruck nördlich und westlich von
Spitzbergen und einem Hochdruckzentrum im Südosten führte zu einer
starken, anhaltenden Strömung sehr warmer und feuchter Luft aus dem
Bereich des mittleren Nordatlantiks in Richtung Spitzbergen. Von dort
drehte die Strömung dann entlang der Randeiszone nach Osten.
Insgesamt begünstigte diese Konstellation die Ausdehnung eines
atmosphärischen Flusses über die mittleren Breiten hinaus bis in die
Arktis. Atmosphärische Flüsse sind übrigens lange, schmale Korridore,
die eine große Menge Wasserdampf transportieren (für mehr
Informationen zu atmosphärischen Flüssen sei auf das Thema des Tages
vom 11.01.2023 verwiesen). Neue Forschungsergebnisse (https://eos.org/articles/rivers-in-the-sky-are-hindering-winter-arct
ic-sea-ice-recovery) zeigen, dass atmosphärische Ströme immer
häufiger weiter nach Norden vordringen als noch vor vier Jahrzehnten.
Diese atmosphärischen Flüsse pumpen vermehrt warme und feuchte Luft
in die Arktis, auch in den Wintermonaten. Sie lassen Regen auf das
sich erholende arktische Meereis fallen, wenn das Eis eigentlich
seinen saisonalen Höchststand erreichen soll. Zudem sind mit dem
häufigeren Auftreten der atmosphärischen Flüsse höhere
Windgeschwindigkeiten und auch größere Wellen verbunden, die die
Eisbildung weiter behindern können. Insgesamt stehen diese neuen
Erkenntnisse im Einklang mit der beobachteten Unterbrechung des
saisonalen Eiswachstums Ende November.

Nachdem die Tiefdruckserie Ende November ihr Ende fand, beschleunigte
sich die tägliche Meereiszunahme wieder auf weitgehend
durchschnittliche Werte. Aktuell wird die Meereisbedeckung auf 12,45
Millionen Quadratkilometer beziffert (siehe Abbildung 2). Damit
entspricht die Flächenausdehnung zu Beginn der dritten Dezemberdekade
in etwa denen des Vorjahres und liegt damit weiter am unteren Rand
der vieljährigen Schwankungsbreite.

Von der Arktis begeben wir uns noch zuletzt in die Antarktis. Wie hat
sich die Meereisbedeckung in den ersten Sommermonaten (auf der
Südhalbkügel herrscht derzeit Sommer) nach einem absoluten
winterlichen Rekordtiefststand entwickelt? Der tägliche Eisverlust
bewegte sich bis Anfang November zunächst in einem ähnlichen Bereich
wie im letzten Jahr. Der Rückgang der antarktischen Meereisausdehnung
hielt um den 9. November herum für einige Tage an. Dies führte
erstmals seit Mai dazu, dass die Ausdehnung über dem Minimum aus dem
Jahr 2016 lag. Der saisonale Rückgang nahm dann jedoch wieder zu und
folgte eng dem Verlauf der rekordtiefen Tagesausdehnung von 2016.

Aktuell fällt die Eisausdehnung im Weddellmeer- und der
Kosmonautensee sowie im Rossmeer anhaltend niedrig aus, in der
Bellingshausen- und Amundsensee liegt sie jedoch leicht über dem
Durchschnitt der Jahre 1981 bis 2010 (siehe Abbildung 4).
Ungewöhnlich warme Bedingungen über dem östlichen Weddellmeer und
starke ablandige Winde direkt im Osten (an der Küste von Dronning
Maud Land) führten zu einem Rückzug des Eises entlang dieser Küste
und öffneten eine breite Küstenpolynja in diesem Gebiet. Das heißt
der ablandige Wind treibt das Meereis von der Küste weg, wodurch es
zu einer relativ beständigen, eisfreien Zone kommen kann.

(Die Bilder und Links zum heutigen Thema des Tages finden Sie wie
immer im Internet unter www.dwd.de/tagesthema.)


M.Sc.-Met. Sebastian Altnau
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.12.2023

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