Thema des Tages

10-04-2024 11:50


Wissenschaft kompakt
Die knieenden Mönche im Schnee

Nicht selten stolpert man in der Meteorologie über Bilder, die einen
fragend zurücklassen, wie Mutter Natur so eine Farbe oder Form
erschaffen kann. In diesem Fall handelt es sich um Skulpturen im
Schnee mit dem besonderen Namen "Büßerschnee/Büßereis". Worum handelt
es sich dabei?

Zugegeben, bei den teils sommerlich anmutenden Bedingungen ist ein
winterliches Thema auf den ersten Blick etwas fehl am Platz, doch wir
werden sehen, dass dem nicht so ist. Beginnen wir nun aber der Reihe
nach.
Was macht man, wenn man sich im Winter vor lauter Grau, Regen und
Wetter-Tristesse mal nach etwas Abwechslung in Form schöner
Schneebilder sehnt? Richtig, man durchforstet die unzähligen
Bildberichte im Internet von wagemutigen Bergsteigern, deren
Reiseberichte mit schönen Aufnahmen gespickt sind. Neben
beeindruckenden Panoramaaufnahmen von Gipfeln, wo man als
Normalsterblicher wohl eher nicht hinwandern würde, kann man sich an
tief verschneiten Schneelandschaften sattsehen - und stolpert
manchmal über Aufnahmen, die einen stutzen lassen.
So auch in diesem Fall bei einem Bericht von einem Bergsteiger in den
Anden.

Nach etwas Nachforschung stellte sich heraus, dass die entdeckten
Schnee- und Eisformationen in der Tat einen Namen besitzen und zudem
auch noch Gegenstand aktueller Forschungen sind. Sie tragen den
englischen Namen "snow penitents", was sich ins Deutsche in etwa in
"Büßerschnee oder Büßereis" übersetzen lässt. Wieso diese Benennung?
Von der Ferne sehen die Formationen aus wie betende Mönche mit ihren
weißen Hauben, was die früheren Entdecker auf diese Namensgebung
brachte.

Seit der Entdeckung dieser Schneeformationen im Jahre 1835 durch
keinen geringeren als Charles Darwin, rankten sich unzählige Theorien
über deren Entstehung. Die Theorien umfassten den Einfluss der Sonne,
einen warmen Wind oder aber die elektromagnetische Ausrichtung der
Schneeflocken. Besonders oft konnte man von diesen Beobachtungen
hören, wenn z.B. in alpinen Regionen nach einer schneereichen Periode
im Spätwinter/Frühling direkt eine heiße Witterung folgte (wie es
auch aktuell der Fall war). Anderswo kann man solche Formationen sehr
häufig beobachten, und zwar in Gebirgen, die in subtropischen oder
tropischen Bereichen liegen, wie z.B. den Anden in Chile.

Bereits 1942 erkannte der Professor C. Troll, dass wohl einzig die
Sonnenstrahlung für die Entwicklung des Büßereis verantwortlich sei.
Seitdem gab es weitere Studien und Untersuchungen, wo das Bild der
Entwicklung immer genauer nachvollzogen werden konnte. Grundsätzlich
sind folgende meteorologische Bedingungen notwendig:

Die Lufttemperatur sollte nahe dem Gefrierpunkt zu finden sein, der
Taupunkt sollte sich deutlich unterhalb des Gefrierpunktes befinden
und es muss eine starke Sonneneinstrahlung vorhanden sein. Dies alles
ist z.B. in den Hochlagen der (sub)tropischen Gebirge gegeben.

Doch wie entstehen diese Skulpturen nun eigentlich? Man kann den
Entstehungsprozess z.B. mit der Entwicklung von Schlaglöchern in
Straßen vergleichen. Dort sorgen die kleinste Unebenheit oder Risse
für eine Wasseransammlung, die durch wiederholte Gefrierprozesse im
Winter sowie durch mechanische Einwirkung des Straßenverkehrs zügig
echte Krater in den Straßen hervorrufen kann.

In unserem Fall sorgt die kleinste Unebenheit oder etwa Staub auf der
Schneeoberfläche dafür, dass eine zunehmende Mehrfachreflexion der
einfallenden Sonnenstrahlen die Chance erhöht, dass die
Strahlungswärme vom Schnee aufgenommen werden kann (u.a. auch
Veränderung der Albedo). Der direkte Einfluss der Strahlung ist wohl
auch der bedeutendste Faktor bei der Entstehung der Formationen, was
u.a. die Beobachtungen hervorheben, die die größten Formationen in
den tropischen Bereichen sowie in hoch gelegenen Gegenden mit
intensiver Sonneneinstrahlung zeigen.

Nun kommt die extrem trockene Luft ins Spiel, die den Taupunkt bei
deutlich unter 0 Grad belässt. Würde der Schnee durch die
aufgenommene Wärme schmelzen, dann würde sich Wasser sammeln und der
Schnee würde an diesen Stellen nicht mehr bzw. stark verzögert weiter
schmelzen können. Doch bei der trockenen Luftmasse erfolgt auch kein
Schmelzprozess, sondern eine direkte Phasenumwandlung von fest zu
gasförmig, genannt "Sublimation". Die durch diesen Prozess benötigte
Energie wird durch die Sonnenstrahlung wieder zugeführt, sodass sich
ein Art Gleichgewichtsprozess einstellen kann. In den Senken sorgt
die zunehmend komplexere Reflexion des Sonnenlichts dafür, dass immer
mehr Wärme gespeichert werden kann und somit die großen Hohlräume
entstehen. An der u.a. von der Wissenschaftlerin Meredith Betterton
(Universität Colorado) aufgestellten Theorie gibt es Zweifel, dass
dieser Prozess nicht alles erklärt. So würde man alleine durch den
beschriebenen Prozess nicht die zu beobachtende recht homogene Größe
der schneefreien Flächen erhalten. Von hier aus geht es weit in die
Schneephysik hinein sowie in Feinheiten wie z.B. die Tatsache, dass
Wärme von den Schneekuhlen weniger effektiv abgestrahlt werden kann,
als von den Schneespitzen, was auch einen vertikalen
Temperaturgradienten nach sich zieht, was wiederum die
Sublimationsrate beeinflusst. Wie so oft zeigt sich, dass auch diese
schönen Naturphänomene einer komplexen Entwicklung unterworfen sind.

Der Wind sollte zudem recht schwach ausfallen, da er sonst die
benannten physikalischen Prozesse rasch (negativ) beeinflussen
könnte. Das ist auch der Grund, wieso viele dieser Formationen im Lee
von Bergen oder Hängen zu finden sind, wo ein gewisser Windschutz
besteht.

Wenn Ihr Interesse nun geweckt wurde, dann können Sie gerne noch
weitere Informationen in dem unten aufgeführten "fachlichen" Link
nachlesen. Ansonsten bleibt mir nur Ihnen viel Spaß beim Genießen der
im Internet zu findenden Bilder zu wünschen und wer weiß: Vielleicht
hat ja jemand von Ihnen diese Formation schon einmal in echt sehen
und fotografieren können?


Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.04.2024

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