Thema des Tages

05-12-2016 14:40

Als die Welt unscharf wurde

Es soll um eine andere bedeutende Persönlichkeit gehen, die ebenfalls
am 05.12.1901 das Licht der Welt erblickte und einige Jahre später
das Tor in eine neue Welt (oder besser gesagt in eine neue Physik)
aufgestoßen hat: Werner Heisenberg.
Der deutsche Wissenschaftler zählt zu den bedeutendsten Physikern des
20. Jahrhunderts, begründete er doch die Quantenmechanik, einen der
Eckpfeiler der modernen Physik, und stellte damit das seit Isaac
Newton dominierende mechanistische Weltbild der Physik auf den Kopf.

Im zarten Alter von 26 Jahren wurde das "Wunderkind" bereits
Professor an der Universität Leipzig. Doch auch seine Genialität
bewahrte ihn nicht vor einer weit verbreiteten "Alltagsplage": Er
litt unter Heuschnupfen, was die Physik und damit die Welt - kaum zu
glauben, aber wahr - revolutionieren sollte. Denn um seine
Pollenallergie auszukurieren, reiste er nach Helgoland, wo ihm
schließlich der große Geniestreich gelang: Die Entdeckung der
Quantenphysik, ohne die es heute keine Mikrochips und keine Computer
geben würde, aber auch keine Atomkraftwerke und Atombomben.

Eine wichtige Theorie der Quantenphysik ist beispielsweise die sog.
"Heisenbergsche Unschärferelation", von manchen auch als der "heilige
Gral der Physik" bezeichnet. Im Prinzip besagt sie, dass Orte und
Geschwindigkeiten kleinster Teilchen nicht beliebig genau zu
bestimmen sind. D.h., je genauer der Ort eines Teilchens bekannt ist,
desto weniger weiß man über seine Geschwindigkeit und umgekehrt. Die
Unschärferelation scheint nahezu die quantentheoretische Version des
Sich-Verirrens zu sein: Entweder weiß man, wo man ist, aber nicht,
wohin man geht, oder man weiß, wohin man geht, aber nicht, wo man
ist.

Doch die Unschärferelation von Heisenberg hat noch viel
tiefgründigere Bedeutungen, die sich allesamt unserer
Vorstellungskraft entziehen. Denn in der Quantenwelt (die den
Mikrokosmos beschreibt, also die Welt der Moleküle und Atome) gelten
andere Gesetze als in der Welt, die wir "direkt" wahrnehmen.
Schlussfolgerungen, dass kleinste Teilchen sich an zwei Orten
gleichzeitig befinden können oder dass man als Beobachter einzig
durch seine Beobachtung die Wirklichkeit verändern kann, klingen
paradox und schon so mancher Physikstudent ist an der Quantentheorie
verzweifelt.

Die Quantenwelt lässt deterministische Folgerungen (bedeutet:
Ereignisse sind durch Vorbedingungen eindeutig festgelegt) nicht zu,
und somit sind Zustände in der Zukunft nur bedingt vorhersagbar - und
damit wäre auch die Brücke zur Meteorologie geschlagen (puh...), denn
auch in der Wettervorhersage gibt es (trotz modernster Supercomputer)
eine Grenze der Vorhersagbarkeit.
Der Grund dafür liegt darin, dass unsere Atmosphäre ein sog.
"chaotisches System" ist, ein Begriff, den viele Leser sicherlich
schon einmal gehört oder gelesen haben, dessen ausführliche
Beschreibung allerdings ein eigenes Thema des Tages füllt. Nur so
viel: Winzige Unterschiede in den Anfangsbedingungen können zu völlig
unterschiedlichen Entwicklungen führen ("Schmetterlingseffekt").

Und wenn Ihnen nun vor lauter Unschärfe und Chaos der Kopf raucht,
möchte ich Sie mit den (irgendwie beruhigenden) Worten von Richard
Feynman entlassen, der einst sagte: "Wer glaubt, die Quantentheorie
verstanden zu haben, der hat sie nicht verstanden"...!

Dipl.-Met. Magdalena Bertelmann
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 05.12.2016

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