Thema des Tages

10-01-2017 14:40

Wie kleine Erdbeben: Wetterbomben

Am 9. Dezember 2014 rüttelte es heftig auf dem Nordatlantik zwischen
Grönland und Island. Grund dafür war aber nicht etwa ein Erdbeben,
sondern eine sogenannte "Wetterbombe" mit einem Kerndruck von unter
945 Hektopascal. Als solche bezeichnet man in Wissenschaftlerkreisen
Tiefdruckgebiete, bei denen es zu einer rapiden Tiefdruckentwicklung
(Zyklogenese) mit einem Druckfall von mehr als 24 Hektopascal in 24
Stunden kommt. Doch trotz der Schäden, die diese Wetterbombe
beispielsweise in Westnorwegen anrichtete, hatte sie einen großen
Nutzen.

Vieles, was wir Menschen über den Aufbau der Erde wissen, haben wir
durch die Beobachtung und Auswertung seismischer Wellen, die im
Erdinneren propagieren, gelernt.

Diese werden unterschieden nach Raum- und nach Oberflächenwellen. An
dieser Stelle sollen uns nur erstere interessieren. Die Raumwellen
lassen sich wiederum einteilen, nämlich nach den sogenannten P- und
S-Wellen. Primärwellen (P-Wellen) sind Longitudinalwellen, das heißt,
sie schwingen in Ausbreitungsrichtung. Ein alltägliches Beispiel
dafür ist die Schallausbreitung in der Luft. Bei Sekundärwellen
(S-Wellen) handelt es sich hingegen um Transversalwellen, sie
schwingen also quer zur Ausbreitungsrichtung. Da sich P- und S-Wellen
unterschiedlich schnell ausbreiten (P-Wellen mit ca. 5 bis über 8
km/s, S-Wellen ca. 3 bis 4,5 km/s), treffen sie an einem vom
Bebenherd entfernten Ort unterschiedlich schnell ein. Aus der
Zeitdifferenz zwischen dem Einsetzen der P- und der S-Wellen kann die
Entfernung zum Herd bestimmt werden. Kann an mindestens drei
verschiedenen Orten auf diese Weise die Entfernung zum Bebenherd
bestimmt werden, lässt sich der Bebenherd im Rahmen der
Messgenauigkeit festlegen.

Treffen die Raumwellen auf signifikante Grenzflächen im Erdinneren,
wie beispielsweise diejenige zwischen Erdkruste und -mantel (die
sogenannte Mohorovicic-Diskontinuität), so können sie reflektiert,
gebrochen, gebeugt, gestreut, absorbiert oder umgewandelt werden.
Weiß man um die Gesetzmäßigkeiten bei der Wellenausbreitung, kann man
nach einem Erdbeben basierend auf der Verteilung der P- und S-Wellen
Aussagen über die innere Struktur unseres Planeten machen.

Jedoch liegt genau darin ein Problem: In vielen Regionen der Welt
bebt die Erde gar nicht oder nur sehr selten. Und demzufolge erhält
man keine guten Messungen und abgeleiteten Visualisierungen des
Erdinneren in diesen Gebieten, zumal man ja mittels aufwendiger
Bohrungen nicht weiter als wenige Kilometer in die Erdkruste kommt
und auch nicht einfach mal so ein Thermometer ins Erdinnere stecken
kann.

An dieser Stelle können heftige Stürme über dem Ozean helfen. Diese
erzeugen auf dem Meer Wellen, die so kräftig sein können, dass ein
kleiner Teil der damit verbundenen Energie als akustische Wellen den
Meeresboden erreicht. Dort angekommen, generiert die Energie schwache
P- und S-Wellen, die sich durch das Gestein ausbreiten. So, als ob an
dieser Stelle ein kleines Erdbeben stattgefunden hätte. Die unten
stehende Abbildung soll dies schematisch darstellen.

Bisher konnten mit dieser Methode nur P-Wellen detektiert werden. Nun
ist es zwei Forschern der Universität Tokio (Nishida und Takagi,
2016) zum ersten Mal gelungen, ein - wenn auch im Vergleich zum
P-Wellen deutlich schwächeres - Signal von S-Wellen aufzuzeichnen.
Als Datenbasis dafür diente eben diese Wetterbombe vom Dezember 2014.
Die Forscher konnten dieses Signal detektieren, weil sie ein dichtes
Seismometernetzwerk (200 Seismometer in der japanischen Region
Chugoku) nutzten.

Dass sowohl P- als auch S-Wellen aufgezeichnet wurden, ermöglicht es,
sich ein hochaufgelöstes Bild der Struktur der Erde direkt unter dem
atlantischen Sturmsystem zu machen und die exakte Lage der
Grenzschicht zwischen oberem und unterem Mantel in dieser Region zu
bestimmen. Außerdem könnte diese Arbeit die Möglichkeit eröffnen,
Schwankungen in solch wichtigen Grenzschichten zu entdecken und so
das Wissen über die Konvektion im Mantel und die Bewegung der
tektonischen Platten zu verbessern.

Wetterbomben gibt es nicht unbedingt häufiger als Erdbeben, jedoch
können sie im Gegensatz zu den Erdbeben vielerorts über dem Meer
auftreten und so das Bild des Erdinneren komplettieren. Mit ihnen
ergibt sich die Möglichkeit einer weiteren Verzahnung der
Geowissenschaften Meteorologie und Geophysik.


M.Sc. Met. Stefan Bach
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 10.01.2017

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst