Thema des Tages

18-02-2017 14:40

Sommer im arktischen Winter

Winter und Polarregionen? Da denkt man zwangsläufig an die
Polarnacht, an wochenlange Dunkelheit und an eisige Kälte. Dunkel ist
es, ohne Frage. Das lässt sich schon alleine aus astronomischen
Gründen nicht ändern. Das Wetter jedoch möchte heuer nicht so recht
mitspielen und macht mehr auf Sommer als auf Winter. In den Regionen
unmittelbar um den Nordpol herum ereignet sich nämlich seit Herbst
2016 eine außerordentliche Wärmeperiode. Von September 2016 an bis
heute lag die tägliche mittlere Temperatur nördlich des 80.
Breitengrades ununterbrochen über den klimatischen Mittelwerten.
Somit werden seit mehr als 150 Tagen überdurchschnittliche Werte
ermittelt. Dabei erreichten die positiven Abweichungen teilweise eine
Größenordnung, wie sie bei uns in Mitteleuropa unvorstellbar sind.
Vielfach bewegten sich die Anomalien in einem Bereich zwischen 10 und
15 Grad über den "Normalwerten". Im November gipfelte die
Wärmeperiode in einer sagenhaften positiven Anomalie von mehr als 20
Grad. Es wurden Temperaturen beobachtet, wie sie teils im
Sommerhalbjahr nicht verzeichnet werden.

Größere Temperaturschwankungen treten in den Polarregionen häufiger
auf. Es ereignen sich immer wieder mal kräftige Warmluftvorstöße bis
zum Nordpol. Dabei wird die während der Polarnacht stattfindende,
fortwährende Auskühlung der Luft durch das Heranführen warmer
Luftmassen auf der Vorderseite kräftiger Sturm- und Orkantiefs
unterbrochen. Doch normalerweise wechseln sich diese Phasen der
Erwärmung mit wieder deutlich kälteren Phasen ab. Insofern ist die
Ausdauer, mit der die derzeitige Wärmeperiode aufwartet, wirklich
außergewöhnlich. Darüber hinaus soll nicht unerwähnt bleiben, dass
die Arktis nicht nur partiell, sondern nahezu flächendeckend von
diesem Phänomen betroffen ist - und die Meteorologen und Klimatologen
kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Der "Sommer im arktischen Winter" bleibt natürlich nicht ohne Folgen
für das Meereis. Nachdem am 10. September 2016 das saisonale Minimum
der Eisbedeckung registriert wurde, konnte das Eis aufgrund der
warmen Temperaturen in der Folge nur zögerlich anwachsen. Es kam, wie
es kommen musste: Im November 2016, just, als sich die Wärmeperiode
zum Höhepunkt aufschwang, verzeichnete man neue Tiefststände in der
Eisbedeckung. Dabei sollte sie gerade dann, nämlich während des
Herbstes, im Arktischen Ozean zügig anwachsen. Die positive
Temperaturanomalie wirkt sich nicht nur auf die Eisbedeckung, sondern
auch auf das Eisdickenwachstum aus. Friedemann Schenk, ein Kollege
vom "Verein der Berliner Wetterkarte", rechnete jüngst aus, dass die
Meereisdicke Ende Januar bereits 83 cm dünner sein dürfte als bei
einer durchschnittlichen Wachstumsperiode.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich das Meereis bis zum Start in
das Sommerhalbjahr nicht mehr erholen wird. Damit droht in diesem
Jahr ein neues Meereis-Minimum. Da das arktische Meereis großen
Einfluss auf die ozeanische und atmosphärische Zirkulation hat, zudem
Lebensraum für eine speziell angepasste Flora und Fauna bietet, ist
die Tragweite dieser Entwicklung gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.02.2017

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