Thema des Tages

13-04-2017 14:40

Osterspaziergang


"Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden,
belebenden Blick. Im Tale grünet Hoffnungsglück. Der alte Winter, in
seiner Schwäche, zog sich in rauhe Berge zurück. Von dort her sendet
er, fliehend, nur ohnmächtige Schauer körnigen Eises in Streifen über
die grünende Flur. Aber die Sonne duldet kein Weißes. Überall regt
sich Bildung und Streben, alles will sie mit Farbe beleben. Doch an
Blumen fehlts im Revier. Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen nach der Stadt zurück zu sehen! Aus
dem hohlen finstern Tor dringt ein buntes Gewimmel hervor. Jeder
sonnt sich heute so gern. Sie feiern die Auferstehung des Herrn, denn
sie sind selber auferstanden. Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
aus Handwerks- und Gewerbesbanden, aus dem Druck von Giebeln und
Dächern, aus der Straßen quetschender Enge, aus der Kirchen
ehrwürdiger Nacht sind sie alle ans Licht gebracht ... " (Johann
Wolfgang von Goethe, Faust I)

Schon der alte Goethe interessierte sich damals für die Meteorologie.
In manchen seiner Werke nutzte er die exakten naturwissenschaftlichen
Beschreibungen seiner Zeit und gibt diese in poetischer Form wieder.
So beschreibt er im "Osterspaziergang" in "Faust I" das typische
Wetter zu Ostern. Geschildert ist das Wettergeschehen bei einer Nord-
oder Nordwestwetterlage im Frühjahr. Bei einer derartigen Wetterlage
gelangt auf der Rückseite eines Tiefdruckgebietes, dessen Kern meist
über dem östlichen Mitteleuropa liegt, hochreichende Kaltluft polaren
Ursprungs nach Deutschland. In dieser bilden sich dann zahlreiche
Schauer, die in der kalten Luft Anfang oder Mitte April zumeist noch
als Schnee oder Graupel fallen. Zwischen den Schauern zeigt sich aber
auch häufiger die Sonne. Durch den bereits hohen Sonnenstand kann
sich daher in tiefen Lagen keine dauerhafte Schneedecke mehr halten.
Nur in den Bergen ist es ausreichend kalt, sodass sich dorthin der
Winter "zurückziehen" kann. Dazu muss man aber wissen, dass Goethe
gegen Ende der "Kleinen Eiszeit" lebte. Dies war eine relativ kühle
Klimaperiode, die von Anfang des 15. bis in das 19. Jahrhundert
hinein reichte. Damals war die globale Durchschnittstemperatur etwa 1
Grad kälter als heute. Kühle Witterungsphasen im Frühjahr kamen
demnach zu Goethes Zeiten entsprechend häufig vor.

Auch in diesem Jahr erwartet uns typisches "Osterspaziergangswetter"
wie in Goethes "Faust". Mehrere Kaltluftstaffeln überqueren
Deutschland. Der beste Tag wird der Karfreitag. Da kann sich
zumindest im Süden bei noch milden 14 bis 17 Grad länger die Sonne
zeigen. Am Karsamstag und Ostersonntag erwartet uns dann insgesamt
wechselhaftes und kühles Wetter mit zeitweiligem Regen und Schauern,
die im Norden mit Graupel und im Bergland sogar mit Schnee vermischt
sind. Dazwischen gibt es aber auch immer wieder kurze Auflockerungen.
Dazu wird es noch ziemlich windig. Am Samstag sind im Norden
Deutschlands verbreitet sogar stürmische Böen zu erwarten. Bei
Höchstwerten von 8 bis 14 Grad wird es für die Jahreszeit etwas zu
kalt.
Die weiteren Aussichten sind noch sehr unsicher. Die meisten Modelle
simulieren Mitte der nächsten Woche einen Ausbruch arktischer
Kaltluft mit Nachtfrösten und Schnee im Bergland, was noch einen
weiteren Temperaturrückgang zur Folge hätte.
Nicht nur das Wetter gestaltet sich ähnlich wie in Goethes "Faust",
auch die Tradition des Osterspaziergangs hat sich bis in die heutige
Zeit gehalten. Doch sieht dieser jetzt etwas anders aus. Heutzutage
zieht es die meisten Leute nicht mehr zu Fuß vor das Stadttor in die
freie Natur, sondern man fährt mit dem Auto über die Alpen in wärmere
Gefilde. Dank des Nordföhns ist das Wetter dort nämlich deutlich
besser als bei uns. Abgesehen von zeitweiligen Schauern am Samstag
scheint dort häufig die Sonne bei angenehmen Temperaturen um 20 Grad.



Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 13.04.2017

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