Thema des Tages

21-05-2017 14:40

Die potentielle Temperatur und die Föhnbeobachtung

"Deutschlandweit liegen die Höchstwerte heute zwischen 17 und 23
Grad". Diese oder ähnliche Aussagen sind in den täglichen
Wetterberichten zu finden. Kein Wunder, denn das Interesse an der
Temperaturentwicklung ist in der Öffentlichkeit sehr groß. Muss mit
einer länger andauernden Hitzewelle gerechnet werden, sorgt Väterchen
Frost für klirrende Kälte oder lädt ein lauer Spätsommerabend zum
Grillen an der frischen Luft ein?

In der Meteorologie ist besonders die Lufttemperatur von Interesse.
Diese wird in 2 m Höhe über dem Erdboden geschützt in einer weißen
Wetterhütte gemessen, abseits von externen Einflüssen wie dem
Bodenwärmestrom oder der Sonnenstrahlung. Verfolgt man die Temperatur
über mehrere Tage, so erhält man den entsprechenden Tagesgang der
Temperatur zwischen Tag und Nacht. Erweitert man die
Beobachtungsreihe und trägt die Monatsmitteltemperaturen auf, dann
kann man den Jahresgang der Temperatur ermitteln.

In der Meteorologie gibt es aber auch noch viele weitere
Temperaturen, wie z.B. die gefühlte Temperatur oder die
Feuchttemperatur, wobei im Folgenden nun aber näher auf die
sogenannte ?potentielle Temperatur? eingegangen werden soll.
Dabei handelt es sich um einen fiktiven, also berechneten Wert. Ziel
dieser Berechnung ist, Temperaturmessungen aus unterschiedlichen
Höhenbereichen untereinander vergleichen zu können oder anders
ausgedrückt: Die potentielle Temperatur gibt an, welche Temperatur
ein Luftpaket annimmt, wenn es auf Meeresniveau gebracht wird.

Nicht selten stellt man sich bei der Vorbereitung des Wetterberichts
die Frage, aus welchem Höhenniveau eine Luftmasse stammt. Eine
wichtige Eigenschaft der potentiellen Temperatur ist ihre
Unabhängigkeit von Hebungs- oder Absinkvorgängen. Wie kann man sich
das vorstellen? Betrachtet man ein Luftteilchen und verfolgt, wie es
zum Beispiel über einen Berg strömt, dann ist folgendes zu
beobachten: Sobald das Teilchen aufzusteigen beginnt, kühlt es sich
ab und wenn es auf der anderen Seite des Berges wieder nach unten
sinkt, dann erwärmt es sich wieder. Demgegenüber aber ändert sich die
potentielle Temperatur dieses Teilchens nicht. Man kann also sagen,
dass die Luft, abgesehen von einzelnen Ausnahmen, auf die hier nicht
näher eingegangen wird, entlang Linien gleicher potentieller
Temperatur (den sogenannten ?Isentropen?) strömt. Klingt alles sehr
komplex, doch lässt sich dieser Sachverhalt an Hand eines Beispiels
aus der Realität gut darstellen.

Das Bild zeigt die Auswirkungen einer markanten Föhnlage, die Anfang
März 2017 u.a. den östlichen Bodensee erfasste. Im linken Bild ist
die gemessene Lufttemperatur in 2 Meter über Grund dargestellt. Dort,
wo der Föhn durchgebrochen ist, kletterte die Temperatur auf 14 Grad
oder mehr. Der Föhndurchbruch ist auch im rechten Bild zu sehen, wo
der Wind mit Sturmstärke, teils auch mit orkanartigen Böen bis in
tiefe Lagen durchgebrochen ist.
Nun kann man sich fragen, aus welcher Höhe die Föhnluft stammt. Diese
Frage kann mit Hilfe der potentiellen Temperatur wenigstens
ansatzweise beantwortet werden (siehe mittleres Bild). Man sieht,
dass dort, wo der Föhn durchgebrochen ist, Werte der potentiellen
Temperatur von 18 bis 21 Grad berechnet wurden, während sie abseits
des Föhns rund 10 Kelvin tiefer lagen. Die Föhndefinition des
Forschers H. v. Ficker aus dem Jahre 1920 besagt, dass "?die
potentielle Temperatur in einem Talorte gleich jeder in höheren,
föhnbestrichenen Orten [?] ist". Da die Luft entlang von Isentropen
strömt, muss man nun ähnliche oder gleiche Werte in unterschiedlichen
Höhenbereichen finden. In unserem Beispiel ähnelt die potentielle
Temperatur auf dem 2500 m hohen Säntis (Lufttemperatur bei -3 Grad)
der potentiellen Temperatur am südöstlichen Bodensee (Altenrhein auf
400 m mit einer Lufttemperatur von +16 Grad). Eine Luftmasse, die
nach dem Überströmen eines Gebirges absinkt, trocknet ab und erwärmt
sich dabei trockenadiabatisch (siehe: http://bit.ly/2r4ZNS9), also um
1 Grad pro 100 m. Das würde bei einer Höhendifferenz von 2100 m eine
Temperaturdifferenz von 21 Kelvin ergeben. Altenrhein müsste also +18
Grad melden. Doch da die potentielle Temperatur in Altenrhein noch
geringfügig niedriger ist als die vom Säntis, sank die Luftmasse
vorerst auch noch nicht von 2500 m ab und konnte sich nicht so stark
erwärmen. Bereits 1 Stunde später wurden jedoch die 18 Grad
vielerorts in dieser Region erreicht und man konnte sagen, dass die
Föhnluft vom Höhenniveau des Säntis bis zum Boden durchgebrochen war.


Dieses Beispiel der Föhnbeobachtung mithilfe der potentiellen
Temperatur zeigt nur eine Verwendungsmöglichkeit von vielen und daher
verwundert es nicht, dass die potentielle Temperatur in der
Wettervorhersage ein bedeutender und häufig verwendeter Parameter
ist.


Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 21.05.2017

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