Thema des Tages

12-06-2017 14:40

Radausflug mit Köpfchen

An sonnigen Tagen (insbesondere an wolkenlosen Strahlungstagen)
entwickeln sich in gebirgigem Gelände bevorzugt im Sommerhalbjahr
sehr gut ausgeprägte Windsysteme, die aber in den verschiedenen
Wetterberichten aufgrund deren Variabilität nur eingeschränkt
kommuniziert werden können. Während die großräumigen
Windentwicklungen mit den heutigen Methoden sehr gut zu
prognostizieren sind, braucht es für die Vorhersage dieser
kleinräumigen Windphänomene einige Erfahrung und eine große Portion
Lokalkenntnis.


Das beste Beispiel dafür sind die unterschiedlichen Windsysteme in
den Alpen. Jeder, der schon einmal einen Wanderurlaub dort
unternommen hat, wird bemerkt haben, dass der Wind in einem
Gebirgstal im Tagesverlauf deutlichen Schwankungen in Stärke und
Richtung unterliegt. Sobald die Sonne am frühen Morgen über den
Horizont gestiegen ist, wird eine Talseite aufgrund der geometrischen
Gegebenheiten stärker beschienen als der gegenüberliegende Hang.
Entsprechend kann an einem der Sonne zugeneigten Berghang deutlich
mehr Sonnenenergie vom Boden absorbiert werden, als auf der
schattigen Seite. Durch die absorbierte Energie wird der Boden je
nach Beschaffenheit mehr oder weniger stark erwärmt.


Diesen Wärmeüberschuss gibt der Untergrund sogleich wieder an die
darüber liegende Luft ab. Die nun erzeugte dünne Warmluftschicht ist
aber deutlich leichter als die kalte Umgebung und beginnt daher in
Form von Warmluftblasen aufzusteigen. Damit ergibt sich eine
Luftströmung, die den Hang entlang hinaufsteigt. In der Fachsprache
wird daher folgerichtig von einem sogenannten "Hangaufwind"
gesprochen. Als Gegenbewegung strömt in der Talmitte oder auf der
Schattenseite die Luft abwärts und bildet damit zusammen mit dem
Hangaufwind die sogenannte "Hangwindzirkulation".


Diese Zirkulation ist zunächst nur zu spüren, aber nicht zu sehen
(höchstens an wogenden Sträuchern oder Gräsern). Erst, wenn die
Luftfeuchtigkeit im aufsteigenden Warmluftpaket auskondensiert und
sich damit an den Hängen Wolken bilden, werden die Strömungen auch
visuell wahrnehmbar. Das Hangwindsystem ist auch die Ursache, warum
sich Schauer und Gewitter selten in der Mitte eines Tales bilden,
sondern bevorzugt an den Kämmen. In der Nacht passiert der
gegenteilige Effekt: Die unmittelbar über den Hängen befindliche
Luftschicht kühlt stark ab und fließt die Berge hinab.


Am Talboden werden diese Hangwinde vom Talwindsystem überlagert.
Dieser Effekt lässt sich damit erklären, dass in den Tälern deutlich
weniger Luft erwärmt werden muss als im angrenzenden Flachland. Damit
steigt die Temperatur auch deutlich schneller an. Die in den Tälern
aufsteigenden Luftmassen müssen aber ersetzt werden und so beginnt im
Tagesverlauf eine in das Tal hinein gerichtete Luftströmung. Bei
sonst unveränderten Randbedingungen setzt der Taleinwind an
aufeinander folgenden Tagen meist um eine ähnliche Uhrzeit ein. In
der Nacht kehrt sich dieser Effekt wie beim Hangwindsystem um: die
Luftmasse in den Tälern kühlt deutlich schneller und stärker ab.
Diese Kaltluft fließt nun talauswärts ins Flachland.


Pfiffige Radfahrer nützen diese tageszeitliche Schwankung und fahren
am Nachmittag mit Windunterstützung talaufwärts und am späten Abend
mit dem Talauswind im Rücken in die Gegenrichtung. Allerdings ist
diese Windunterstützung nur in flach ansteigenden Tälern wirklich
relevant, hohe Pässe müssen hingegen ausschließlich mit
eigenproduzierter Energie erklommen werden. Abschließend sei noch
angemerkt, dass Täler mit vergletscherten Einzugsgebieten von diesen
Gesetzmäßigkeiten abweichen können, mehr dazu aber in einem anderen
Thema des Tages.


Die kommenden Tage bieten ausreichend Gelegenheit dazu, die alpinen
Windsysteme kennenzulernen. Am bayerischen Alpenrand beispielsweise
wird vor allem vormittags viel Sonnenschein erwartet, der ab den
Mittagsstunden durch die beschriebene Quellwolkenbildung an den
Hängen etwas eingeschränkt wird.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 12.06.2017

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