Thema des Tages

24-06-2017 14:40

Gletscher und Klima

Die "Kryosphäre" oder "Eissphäre" der Erde umfasst als Gesamtheit des
auf der Erde vorkommenden Wassers im festen Aggregatzustand das Meer-
und Schelfeis, das Inlandeis, die Hochgebirgsgletscher, das in
Eishöhlen und in Dauerfrostböden enthaltene Eis sowie nicht zuletzt
im Winter zugefrorene Binnengewässer und verschneite Oberflächen,
letztere als saisonal sehr stark variierende Komponenten. Dabei
bildet das Inlandeis, also die ausgedehnten, festes Land bedeckenden
Gletscher ("Festlandgletscher") die bei weitem größte Komponente.

Aufgrund der Strahlungseigenschaften des Eises, vor allem bei
vorhandener Neuschneedecke, ein hohes Reflexionsvermögen für
kurzwellige solare Strahlung (Albedo) und einen hohen Emissionsgrad
für langwellige terrestrische Strahlung zu besitzen, hat die
Kryosphäre eine große Bedeutung für das Klimasystem der Erde.
Insbesondere die riesigen Eisschilde der Antarktis und Grönlands
steuern als Kältereservoire die "planetare Zirkulation der
Atmosphäre" und darüber hinaus als Süßwasserquelle auch die
"thermohaline Zirkulation der Ozeane" (Stichwort Golfstrom). So hat
das grönländische Inlandeis einen entscheidenden Einfluss auf Wetter,
Witterung und Klima im nordatlantisch-europäischen Raum. Kleinere
Gletscher wirken sich zumindest auf das lokale Klima im Hochgebirge
aus.

Entstehung, Wachstum und Verschwinden von Gletschern hängen sowohl
von der Umgebungstemperatur als auch von den regionalen
Niederschlagsverhältnissen ab. Dabei erfolgt im Falle der "warmen
oder temperierten" Gletscher der Rückgang des Eises infolge Erwärmung
der Atmosphäre zunächst wegen der Temperaturerhöhung selbst, und zwar
durch vermehrtes Schmelzen und Verdunsten an der Gletscheroberfläche
in den Sommermonaten. Dazu könnten nach einer Änderung des
Niederschlagsregimes die Neuschneefälle ausbleiben, so wie es bei den
südamerikanischen Andengletschern in El-Niño-Jahren der Fall ist.

Neuschnee reflektiert das Sonnenlicht sehr stark, verhindert somit
die Energieübertragung und schützt das darunter liegende Gletschereis
vor Erwärmung. Fehlender Neuschnee bzw. eine tauende Eisoberfläche
mit geringerem Reflexionsgrad führen zu stärkerer Absorption der
einfallenden Sonnenstrahlung und zu weiterer Erwärmung. Einen
derartigen, sich selbst verstärkenden Prozess nennt man in der
Regelungstheorie eine "Positive Rückkopplung".

Ein zweiter Aspekt ist das entstehende Schmelzwasser. Sammelt es sich
in Pfützen und Tümpeln an der Gletscheroberfläche, so verringert es
deren Reflexionsvermögen. Frisst sich der Schmelzwasserstrom dagegen
in Schloten und Gletscherspalten durch das Eis und gelangt auf diesem
Wege an die Unterseite des Gletschers, könnte er auf dem
"Gletscherbett" einen Gleitfilm zwischen Gestein und Eis bilden, der
die Fließgeschwindigkeit des Gletschers erhöht und den Abgang der
Gletschermasse forciert. Auch bringt ein im Unterlauf in seiner Dicke
reduzierter Gletscher den vom Hang nachrückenden Eismassen einen
geringeren Widerstand entgegen, wird also leichter zu Tal geschoben
und abgebaut.

Was wären nun die Folgen einer globalen Erwärmung auf die Kryosphäre,
insbesondere auf die Gletscher? Wenig verwundbar ist das Inlandeis
der Antarktis, denn die Südpolregion ist einfach zu kalt, um durch
die von den Klimaforschern projektierte Temperaturerhöhung von
einigen Grad Celsius einfach abzuschmelzen. Jedoch könnte das
küstennahe Eis der Antarktischen Halbinsel dezimiert werden. Das
Grönlandeis ist empfindlicher, als Überbleibsel der letzten Eiszeit
konnte es bisher nur überdauern, weil es aufgrund seiner schieren
Masse sein eigenes Klima bildet. Es erzeugt ein "Kältehoch", das die
atlantischen Tiefdruckgebiete, die an ihrer Vorderseite Warmluft
nordwärts führen, südwärts abdrängt. Ein Rückgang des grönländischen
Eises würde also direkt die Westwinddrift im
nordatlantisch-europäischen Raum und damit auch unser Klima in
Mitteleuropa beeinflussen. Der mit einem Abtauen des Grönlandeises
einher gehende Eintrag von Süßwasser in die nördlichen Meere hätte
Wirkung auf die thermohaline Zirkulation des Nordatlantiks,
möglicherweise sogar auf Stärke und Verlauf des Golfstromes. Des
Weiteren könnte sich beim Abschmelzen des arktischen Inlandeises der
Meeresspiegel erhöhen, allein das Wasser aus dem Grönlandlandeis in
flüssiger Form würde den Meeresspiegel weltweit um bis zu sieben
Metern ansteigen lassen. Hunderttausende Quadratkilometer Land würden
überflutet, beispielsweise in Bangladesch, Florida oder den
Niederlanden. Eben beschriebene Effekte könnten in einer Zeitspanne
von wenigen hundert Jahren auftreten.

Wesentlich zeitnaher sind die Folgen des Rückganges der Gletscher in
den Hochgebirgen. Schon in wenigen Jahrzehnten könnten die meisten
Alpengletscher verschwunden sein, mit dem Resultat des regionalen
Wassermangels, denn Gletscher fungieren als Süßasserreservoir.
Beispielsweise speichern die Schweizer Gletscher insgesamt so viel
Wasser, wie es der Menge des Jahresniederschlages des Landes
entspricht. Millionen von Menschen in den Alpenländern, aber auch in
Staaten wie Bolivien, Peru oder Indien benötigen das Schmelzwasser
der Gletscher als Trinkwasser, zur Bewässerung landwirtschaftlicher
Kulturen oder zur Energiegewinnung in Wasserkraftwerken. Sie säßen
beim Verschwinden der Gletscher buchstäblich auf dem Trockenen.

Das unten publizierte Foto von Luca Galuzzi zeigt den
Perito-Moreno-Gletscher ("Kalbungsfront" bei ca. 50°29'S, 73°02'W),
einen der größten "Auslassgletscher" im Campo de Hielo Sur, in den
südamerikanischen Anden (Patagonien, Provinz Santa Cruz,
Argentinien). Er entspringt in 2950 m Höhe nahe des Berges Cerro
Pietrobelli und fließt nach 30 km Länge ostwärts in den Lago
Argentino auf 185 m Höhe. Seine Flächenausdehnung beträgt ca. 254
km², die Fließgeschwindigkeit an der bis zu 77 m mächtigen
Gletscherfront wird mit knapp 800 m pro Jahr angegeben. Im Gegensatz
zu den meisten anderen Gletschern auf der Welt, die sich seit dem
Ende der "Kleinen Eiszeit" (um 1850) zurückziehen, zeigt der
"temperierte" Perito-Moreno-Gletscher in seiner Massenbilanz keinen
eindeutigen Trend.


Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.06.2017

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