Thema des Tages

23-08-2017 14:40

Schwierige Wochen für die Alpengletscher

Während sich ein großer Teil der Bevölkerung über die aktuellen
spätsommerlich warmen Tage freuen wird, bekommen Gletscherforscher
(Glaziologen) die mittlerweile alljährlich wiederkehrenden
Sorgenfalten. Die Witterung in den Sommermonaten ist nämlich von
entscheidender Bedeutung, wie die Massenbilanz eines Gletschers am
Ende des Bilanzjahres am 30. September ausschauen wird.



Ein idealisierter Gletscher besteht aus zwei unterschiedlich
definierten Bereichen. Der obere Abschnitt des Eiskörpers wird als
"Akkumulationsgebiet" bezeichnet, in der deutschen Sprache wird dafür
auch das Wort "Nährgebiet" verwendet. Dort fällt im Mittel im Winter
und Frühling mehr Schnee, als in den wärmeren Monaten abschmelzen
kann. Besonders gut für ein Akkumulationsgebiet eignen sich Mulden
und Senken, da sich dort in der Regel durch Windverfrachtung und
Lawineneinflüsse am meisten Schnee halten kann. Überdauert die
Winterschneedecke schließlich den Sommer, wird der übriggebliebene
Altschnee fortan als Firn bezeichnet.



Mit den Jahren wird dieser Firn durch Komprimierung und Reduzierung
der Lufteinschlüsse immer dichter und geht nach längerer Zeit in Eis
über. Dieses "fließt" aufgrund der Schwerkraft langsam ins Tal hinab.
Dabei erreicht der Eisstrom aber irgendwann eine Höhenzone, in der
die klimatischen Randbedingungen zu einem stärkeren Abschmelzen
führen. Dieser Bereich wird als "Ablations-" oder "Zehrgebiet"
bezeichnet. Zwischen Akkumulations- und Ablationsgebiet befindet sich
die sogenannte "Gleichgewichtslinie", an dieser der Schneezuwachs
(Akkumulation) das Abschmelzen (Ablation) ausgleicht. Die Differenz
aus Akkumulation und Ablation des gesamten Gletschers wird
Massenbilanz (Massenzufluss-Massenverlust) genannt.



Natürlich hängt diese Massenbilanz zum einen entscheidend von der
Mächtigkeit der Winterschneedecke ab. Besonders Kaltlufteinbrüche im
Spätwinter oder Frühling können in den hochalpinen Lagen für eine
ordentliche Menge Neuschnee sorgen. Zum anderen ist die Temperatur-
und Niederschlagsentwicklung im Sommer für die Ablation von großer
Bedeutung. Ein wichtiger Indikator für das Abschmelzpotential ist
daher in erster Linie die mittlere Lufttemperatur. Das Klimadiagramm
der Zugspitze (2964 m) zeigt zum Beispiel, dass der August bisher
deutlich wärmer war, als nach dem vieljährigen Mittel der
Referenzperiode (1961-1990) erwartet wird. Zudem macht der Verlauf
der Tagestiefsttemperaturen deutlich, dass nur in wenigen Nächten die
Frostmarke unterschritten wurde. Es kann also angenommen werden, dass
es zu einem starken Abschmelzen der Schneedecke sowie des Eises kam.



Dabei muss allerdings noch ein weiterer, sehr bedeutender Effekt
beachtet werden: Mit dem Abschmelzen des weißen Schnees kommt die
meist durch Staub, Sand und Geröll deutlich schmutzigere und damit
dunklere Eisoberfläche zum Vorschein. Aufgrund des physikalischen
Grundprinzips, dass eine dunkle Oberfläche deutlich mehr
Sonnenstrahlung aufnimmt als ein heller Untergrund, wird das
Abschmelzen des Eises stark beschleunigt. Durch das nun fehlende Eis
ist aber in weiterer Folge auch die unmittelbare Umgebung des
Gletschers von stärkerer Erwärmung betroffen. Dieser Wärmeüberschuss
steigert aber seinerseits wieder das Abschmelzen des Gletschers. In
der Klimaforschung wird ein solcher, sich selbst verstärkender
Vorgang, als positive Rückkopplung bezeichnet.



Eine starke Kaltfront, die für Schneefälle im Hochgebirge sorgen
würde, wäre demnach für die Gletscher zu dieser Jahreszeit Gold wert.
Eine frische und damit weiße Neuschneeauflage könnte zumindest eine
Unterbrechung der diesjährigen Abschmelzperiode bewirken. Allerdings
zeigen die aktuellen kurz- und mittelfristigen Wetterprognosen für
die letzten Augusttage einen ganz anderen Trend. In den süddeutschen
Bundesländern sowie im Ostalpenraum bleibt es sommerlich warm, wobei
die Temperatur örtlich auch die Marke von 30 Grad überschreiten kann.
Allerdings sind auch ein paar Schauer und Gewitter dabei. Im Norden
Deutschlands wird es zwar nicht ganz so warm, vorübergehend stehen am
Samstag aber auch dort sommerliche Temperaturen in Aussicht.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.08.2017

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