Thema des Tages

06-09-2017 14:40

Hurrikan IRMA

Hurrikane, die tropischen Wirbelstürme des Atlantiks und des
nordöstlichen Pazifiks, sind Tiefdrucksysteme mit geschlossener
Zirkulation des Windes um das Druckminimum und organisierter
Vertikalbewegung feucht-warmer Luftmassen, die mit schweren
Regenfällen und Gewittern einhergeht. Dabei hält die frei werdende
Kondensationswärme rund um das Zentrum die Systeme "am Leben".
Infolge der Corioliskraft rotieren Hurrikane stets "zyklonal", d.h.
auf der Nordhalbkugel entgegen dem Uhrzeiger. Die auf relativ kleinem
Raum herrschenden großen Luftdruckunterschiede bewirken enorme
Windgeschwindigkeiten.

Tropische Wirbelstürme im Allgemeinen entstehen - nomen est omen -
über den tropischen, ggf. auch subtropischen Meeren. Nur dort gibt es
genug latente Energie und hinreichend "glatte" Oberflächen. Denn eine
hohe Bodenreibung würde den Ausgleich von Luftdruckgegensätzen
fördern und damit das ?Auffüllen und Absterben? von Tiefdruckwirbeln
beschleunigen. Weiterhin benötigen sie die Corioliskraft, ohne die
bestehende Luftdruckunterschiede ebenfalls rasch ausgeglichen würden
und sich Wirbel gar nicht erst formen könnten. Auch die vertikale
Windscherung muss sich in Grenzen halten, um einen gerade
entstandenen, jungen Wirbel nicht gleich zu zerreißen.

Folglich sind im Falle der Hurrikane die Zonen im Atlantik sowie im
Ostpazifik zwischen etwa 5° und 30° nördlicher Breite, mit
Wassertemperaturen (Sea Surface Temperature - SST) von mindestens 26
°C, als Ursprungsgebiete relevant. Die Bildung und weitere Existenz
eines tropischen Wirbelsturmes ist energetisch betrachtet nichts
anderes als der Ausgleich des Wärmeüberschusses, der sich in den
unteren Atmosphärenschichten staut. Um diesen "Ausbruch von Energie"
zu ermöglichen, muss großflächig Konvektion ausgelöst werden.

Dazu ist wiederum Luftdruckfall notwendig, den meistens die
innertropische Konvergenzzone liefert. Sie bewirkt Wellenbildungen an
der äquatorialen Seite der subtropischen Hochdruckgebiete. Diese
"tropischen Wellen" (engl. Easterly Waves) sind ovale bis längliche,
meridional orientierte Gebiete tieferen Luftdruckes, wandern aufgrund
der Passatströmung nach Westen und sind sozusagen das erste
Entwicklungsstadium tropischer Wirbelsturmsysteme. Die zum gerade
entstehenden Tiefdruckzentrum strömenden Luftmassen werden von der
Corioliskraft abgelenkt und rotieren um den Kern mit dem tiefsten
Luftdruck. Sofern die o.g. Bedingungen weiterhin bestehen oder sich
sogar verbessern, kann sich die tropische Zyklone intensivieren. Wenn
sie schnell genug rotiert zeigt sich das legendäre "Auge des
Wirbelsturmes", der zentrale, windschwache Bereich mit absinkender
Luft und Bewölkungsauflösung.

Atlantische Hurrikane entstehen meist aus den oftmals bereits über
Nordwest- bzw. Westafrika angeregten Easterly Waves an der Südflanke
des Azorenhochs. Sie werden im Allgemeinen auch durch das Azorenhoch
"gesteuert" und bewegen sich bei vollständigem Lebenszyklus ohne
?Landfall? idealerweise auf nach Osten geöffneten Parabeln. In ihrem
jugendlichen Entwicklungsstadium ziehen Hurrikane mit etwa 10 Knoten
(knapp 19 km/h) Verlagerungsgeschwindigkeit auf dem äquatorialen,
also südlichen Ast der Parabel in westlicher bis nordwestlicher
Richtung. Während des Reifestadiums im Scheitelbereich der Parabel
liegt das steuernde Azorenhoch dann weit in östlicher Richtung und
die Wirbel verlangsamen sich gewöhnlich auf etwa 5 Knoten. Hier
erreichen sie ihre größte Intensität und schlagen gewöhnlich einen
nördlichen Kurs ein, neigen aber u.U. zu abrupten
Richtungsänderungen.

Der Lebenszyklus von Hurrikan IRMA begann in den Tagen um den 25.
August 2017 als tropische Welle über Westafrika, die sich stetig
intensivierte und am 30. August mit einer Position westlich der
Kapverdischen Inseln vom amerikanischen National Hurricane Center
(NHC in Miami, Florida) zum tropischen Sturm IRMA deklariert wurde.
Innerhalb eines weiteren Tages verstärkte sich IRMA rapide vom
schweren tropischen Sturm zum Hurrikan, dessen Intensität in den
folgenden Tagen bei fortschreitender Bewegung in westlicher Richtung
zwischen den Kategorien 2 und 3 auf der Saffir-Simpson-Skala
schwankte. Damit ist IRMA ein klassischer Hurrikan vom
"Kap-Verde-Typ". Vorgestern noch mit Kategorie 4 bewertet, erfüllt
IRMA seit dem gestrigen 5. September die Kriterien für die höchste
Hurrikan-Kategorie 5.

Heute früh um 06:00 Uhr UTC folgte der ?Kategorie-5-Hurrikan? IRMA
mit 13 Knoten weiterhin einem Westnordwestkurs und hatte bei einer
Position von 17,7° nördlicher Breite und 61,8° westlicher Länge einen
Kerndruck von 914 hPa und mittlere Windgeschwindigkeiten von bis zu
160 Knoten (circa 295 km/h, "1-min-sustained-wind-speed" laut
Definition des NHC). In Böen dürften es bis zu 195 Knoten (circa 360
km/h) gewesen sein. Damit ist IRMA bedeutend stärker als HARVEY
(Kategorie 4) und der stärkste atlantische Hurrikan außerhalb des
Golfs von Mexiko und des Karibischen Meeres seit Beginn der
Aufzeichnungen.

Hurrikan IRMA gelangt nun allmählich in den Scheitelbereich seiner
parabelförmigen Zugbahn, vermutlich nimmt er einen westnordwestlichen
Kurs entlang der Küsten der Großen Antillen um voraussichtlich am
Sonntag Florida anzusteuern. Bereits jetzt sind die nördlichen Inseln
der Kleinen Antillen (engl. "Leeward Islands") von IRMAs Sturmfeld
und sintflutartigen Regenfällen betroffen. Einen Überblick über die
prognostizierte Zugrichtung und die Warnsituation in den betroffenen
Gebieten, basierend auf dem Kenntnisstand von heute früh, 06:00 Uhr
UTC, liefert die vom National Hurricane Center herausgegebene Graphik
im unteren Teil der Abbildung.

Im oberen Teil der Abbildung finden Sie ein infrarotes Satellitenbild
(GOES-E 10,8 µm) des Hurrikans IRMA vom Mittwoch, den 06.09.2017,
06:00 Uhr UTC. Ergänzt wurde die Aufnahme durch Berechnungen des
Geopotentials der 500-hPa-Hauptdruckfläche (fette rote gestrichelte
Linien) sowie der Windgeschwindigkeit (farbige Isotachen in Knoten,
engl. [kt], 1 Knoten = 1,852 km/h) des ICON-Vorhersagemodells des
Deutschen Wetterdienstes. Die Windpfeile signalisieren neben dem
Betrag der Windgeschwindigkeit die zyklonale Rotation des Wirbels.
Außerdem sind in den schwarzen Kästchen die
Meeresoberflächentemperaturen (SST) eingetragen. Man beachte die
unterschiedlichen kartographischen Projektionen beider Darstellungen.



Dipl.-Met. Thomas Ruppert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.09.2017

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