Thema des Tages

29-11-2017 14:40

Briefe des Himmels

Die Bewohner in den gemäßigten und kühleren Klimazonen, also in den
mittleren und höheren Breiten bekommen die Schneeflocken im Winter
regelmäßig zu Gesicht. Und beim genauen Hinsehen fallen ihre
faszinierenden Strukturen ins Auge, die immer wieder aufs Neue
begeistern. Bereits im 17. Jahrhundert beschrieb Astronom und
Mathematiker Johannes Kepler verschiedene Formen von Schneeflocken,
der große Denker und Naturwissenschaftler Rene Descartes beobachtete
und skizzierte sie. Viele weitere Wissenschaftler veröffentlichten
seither Zeichnungen und Fotografien von den wunderschönen
Eiskristallen.

Die vielleicht bekannteste Veröffentlichung stellt wohl das Buch
?Snow Crystals? der Herren Bentley und Humphreys im Jahr 1931 dar.
Darin ist das Lebenswerk Bentleys in Form von über 2400 Fotografien
natürlicher Schneekristalle abgebildet (siehe Grafik unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2017/11/29.html). Dabei
war Wilson Alwyn Bentley, der als ?The Snowflake Man? in die
Geschichte eingehen sollte, keineswegs ein Wissenschaftler, sondern
ein einfacher Landwirt. Trotzdem schaffte er es mit seiner Arbeit,
viele weitere Menschen zu inspirieren, unter anderem auch den
Physiker Ukichiro Nakaya an der Hokkaido Universität in Sapporo.
Dieser machte im Rahmen seiner Forschungsarbeiten im Gebirge von
Hokkaido mehr als 3000 Aufnahmen von natürlichen Schneekristallen und
unterteilte diese im Anschluss anhand ihrer Morphologie, also anhand
ihrer äußeren Gestalt, in etwa 40 Kategorien. Außerdem gelang es ihm
darüber hinaus als einer der Ersten, künstliche Kristalle
unterschiedlicher Formen im Labor zu erzeugen. Seine Ergebnisse
konnten daraufhin in grafischer Form zusammengestellt werden, was in
der Fachliteratur auch heute noch als ?Nakaya-Diagramm? bekannt ist.


Nakaya verdanken wir übrigens auch die Entdeckung, dass gewisse
Beziehungen zwischen der Gestalt der Schneekristalle und den bei
ihrer Entstehung vorherrschenden atmosphärischen Bedingungen
existieren. Entsprechend kann man aufgrund des Aussehens der
Schneeflocken auf das ungefähre Wetter in höheren Schichten der
Atmosphäre schließen. Dies verleitete Nakaya wohl auch zu seinem
berühmten Zitat, Schneeflocken seien ?vom Himmel gesandte Briefe?.

Die wichtigsten Parameter bei der Entstehung der Flocken stellen
Temperatur und Feuchtegehalt der Atmosphäre dar. Nach Nakaya lassen
sich die Kristalle anhand der Temperatur in zwei verschiedene
Grundformen einteilen: Bis -4 Grad Celsius sowie zwischen -11 und -22
Grad liegen sie als Plättchen vor, sonst nehmen sie eine
prismenförmige Gestalt an.

Die Feuchtigkeit, also der Wasserdampf, spielt ebenfalls eine
grundlegende Rolle. In Abhängigkeit von Temperatur und Druck kann ein
Luftpaket nur eine bestimmte Menge an Wasserdampf aufnehmen. Erreicht
der Wasserdampf in der Luft die maximale Menge, nennt man es
gesättigt. Nimmt die Luft darüber hinaus noch mehr Wasserdampf auf,
spricht man von Übersättigung und es kommt zum Phasenübergang, das
heißt Kondensation (von gasförmig zu flüssig) oder Resublimation (von
gasförmig zu fest) setzt ein und es bilden sich Tröpfchen oder
Eiskristalle. Nakaya erkannte, dass mit steigendem Wasserdampfgehalt
der Luft die Komplexität der Struktur der Kristalle zunimmt und diese
somit filigranere Strukturen ausbilden.

Allerdings existieren viele Misch- oder Übergangsformen. Denn die
Schneekristalle können durchaus in einer bestimmten Form zu wachsen
beginnen. Auf ihrem Weg zum Boden durchqueren sie jedoch
verschiedenste atmosphärische Bedingungen. Ändern sich diese auch nur
minimal, wachsen die Schneeflocken in anderen Formen weiter, mal mehr
in die Breite, mal filigraner an den Spitzen der Kristalle. Dadurch
erhält jede einzelne Schneeflocke ihren individuellen Charakter.

In den kommenden Tagen kann man Schneeflocken tagsüber besonders in
mittleren und höheren Lagen oberhalb von etwa 300 Meter bestaunen, in
tieferen Lagen wird man sie dann wohl nur kurzzeitig bei kräftigeren
Schneeschauern zu Gesicht bekommen. In den Nächten dagegen sinkt die
Schneefallgrenze bis in tiefe Lagen ab, sodass man ausgangs der Nacht
mit etwas Glück bei einem schwachen Schauer auch im Flachland eine
?angezuckerte?, mit Schneekristallen überzogene Landschaft erleben
darf.

MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 29.11.2017

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