Thema des Tages

11-12-2017 14:40

Die schwingenden Seile

Den geneigten Lesern unserer Themen des Tages wurde in den
vergangenen Tagen aufgrund der komplexen Wetterlage ein buntes
Potpourri unserer warnrelevanten Wetterelemente nähergebracht. Und
auch am heutigen Montag tauchen wahlweise in der DWD-Warnkarte oder
WarnWetter-App mit Wind, Regen, Tauwetter, Schnee, Frost und Glätte
diverse Parameter auf, bei denen kritische Schwellenwerte
überschritten werden.

Tritt nun in einem Gebiet eine Kombination aus starkem Wind, Frost
und Niederschlag gleichzeitig auf, so resultiert daraus ein Phänomen,
das dem Großteil der Bevölkerung nicht so vertraut ist. Es handelt
sich um die sogenannten "Leiterseilschwingungen".

Dieser Vorgang beschreibt die zusätzliche Belastung von
Stromleitungen infolge massiven Schnee-, Reif- oder Eisansatzes.
Fällt beispielsweise wie in den vergangenen Stunden im Großteil des
Bundesgebietes nasser Schneefall oder gefrierender Regen, so "pappt"
dieser bei Temperaturen um den Gefrierpunkt an den Stromleitungen an
und beschwert diese. Aufgrund einer gewissen Elastizität, die die
Leitungen allein aufgrund der jahreszeitlichen Schwankungsbreite der
Temperatur haben muss, werden diese nun gedehnt und im Zusammenspiel
mit kräftigem Wind zum Schwingen gebracht. In der Konsequenz ist
durch die veränderte Form der Leiterseile keine glatte Umströmung
mehr gewährleistet, so dass sich ständig kleine Wirbel ausbilden.
Infolge der sich ständig verändernden Luftwiderstände kann sich der
Prozess letztlich soweit aufschaukeln (Resonanz), bis im Extremfall
das Material sogar bricht - wie beispielsweise am 01. Adventswoche im
Jahre 2005 beim Münsterländer Schneechaos. So zog am 27.11.2005 ein
Tief vom Europäischen Nordmeer auf südlicher Zugbahn ins Münsterland
und blieb dort mehr oder weniger über 3 Tage stationär mit länger
anhaltenden Nassschneefällen und einer Gesamtschneehöhe von bis zu 50
Zentimetern. Unter dieser Last brachen bei Windböen bis 60 km/h
(entspricht 7 Beaufort) zahlreiche Strommasten zusammen. Vom
Stromausfall betroffen waren damals rund 250.000 Menschen und selbst
4 Tage nach Ende des Schneefalls waren noch nicht alle Orte wieder an
das Stromnetz angeschlossen. Daraufhin sanierten übrigens auch die
Mehrzahl der Netzbetreiber ihre bestehenden Masten, die allmählich in
die Jahre gekommen waren.

Von den Vorhersagemeteorologen des Deutschen Wetterdienstes werden
bundesweit zwar einheitliche Warnungen vor Leiterseilschwingungen
herausgegeben, die aber als spezielle Warnungen nur auf
Nutzeranforderung und nur für vom Nutzer gewünschte Landkreise oder
Warngebiete erstellt werden. Deshalb fehlen diese Warnungen auch in
der Visualisierung auf den DWD-Internet-Warnseiten beziehungsweise in
der WarnWetter-App. Die Kriterien beinhalten das kombinierte
Auftreten von Lufttemperaturen zwischen +1 und -3 Grad Celsius, einer
mittleren Windgeschwindigkeit größer als 25 km/h (4 Bft) bei
gleichzeitigem Schnee-, Eis- oder Reifansatz.

Welch "Ironie des Schicksals", das am heutigen Montag mit Durchzug
des Tiefs YVES in einem Streifen vom Niederrhein bis ins Bremer und
Hamburger Umland bei Temperaturen um den Gefrierpunkt erneut kräftige
Nassschneefälle zu erwarten sind. Diese halten bis weit in die
kommende Nacht hinein an und können durchaus 10 bis 15 Zentimeter
Neuschnee bringen. Somit ist auch bei dieser Lage das Münsterland
explizit von einem erhöhten Risiko für Leiterseilschwingungen
betroffen, zumal bei vorübergehender Milderung die Niederschläge
zeit- und gebietsweise auch in Regen übergehen können. Der Wind
bleibt zwar zunächst relativ schwach, frischt aber in der zweiten
Nachthälfte auf der Rückseite des Tiefs auch bis Windstärke 4
Beaufort auf. Abschließend bleibt aber festzuhalten, dass
vergleichbare Ausmaße wie im Jahr 2005 allein aufgrund der
Kurzlebigkeit des Ereignisses eher nicht zu erwarten sind.

Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.12.2017

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