Thema des Tages

08-01-2018 14:40

Die gefühlte Temperatur


In der vergangenen Nacht gab es in der Norddeutschen Tiefebene
verbreitet leichten bis mäßigen Frost, am kältesten war es in Barth
mit -9,4 Grad. Und auch tagsüber schafft es das Quecksilber nur
mühsam über die Nullgradmarke - Höchstwerte um 1 Grad stehen in
Norddeutschland am heutigen Montag ins Haus, örtlich wird es wohl
sogar nur für einen Eistag reichen. Angesichts des allmählich
zunehmenden Ostwindes kommen einem diese Temperaturen trotz
Sonnenscheins sogar noch kälter vor.

Der Wärmehaushalt des Menschen reagiert nicht nur auf die
Lufttemperatur, sondern eben auch auf die Windgeschwindigkeit,
Luftfeuchtigkeit und Sonnenstrahlung sowie auf die Wärmestrahlung der
Atmosphäre. Von entscheidender Bedeutung sind zudem der
Aktivitätsgrad des Menschen und wie gut die Kleidung, die er trägt,
isoliert.

Eine Möglichkeit, das Temperaturempfinden eines Menschen zu
beschreiben, ist die "gefühlte Temperatur". Diese vergleicht die
tatsächlich vorhandenen äußeren Bedingungen mit der Temperatur, die
in einer Standardumgebung herrschen müsste, um ein identisches
Wärme-, Behaglichkeits- oder Kältegefühl zu haben. Als Standard gilt
dabei ein Bereich mit Schatten, in dem die Umgebungsflächen die
gleiche Temperatur haben wie die Luft und in dem nur ein leichter
Windzug von 0,2 Metern pro Sekunde herrscht. Zudem wird eine
Aktivität des Menschen angenommen, bei der die gleiche Leistung
erbracht wird wie beim Gehen mit vier Kilometern pro Stunde. Damit
möglichst Behaglichkeit erreicht wird, kann der Mensch seine Kleidung
stets an die vorherrschenden Bedingungen anpassen, wobei die Kleidung
ein Spektrum zwischen sommerlich leicht und winterlich dick aufweist.


Im Deutschen Wetterdienst wird die gefühlte Temperatur mit dem
sogenannten "Klima-Michel-Modell" berechnet, das den Wärmehaushalt
eines Modellmenschen bewertet. Der "Klima-Michel" ist eine männliche
Person mit einer Größe von 1,75 Metern, einem Gewicht von 75
Kilogramm und einem Alter von etwa 35 Jahren. Sein Wärmehaushalt ist
im Wesentlichen von der Lufttemperatur, Luftfeuchte,
Sonneneinstrahlung und Windgeschwindigkeit abhängig. So steigt die
gefühlte Temperatur unter warm-sonnigen, feuchten und windschwachen
Bedingungen viel schneller als die Lufttemperatur an. Bei angenehmen,
milden und trockenen Bedingungen mit mäßigem Wind kann sie aber auch
unter die Lufttemperatur absinken. Unter kalter, insbesondere
windstarker äußerer Umwelt kann die gefühlte Temperatur um teils mehr
als 15 °C unter der Lufttemperatur liegen. Sonne und Windstille
können die gefühlte Temperatur hingegen über die Lufttemperatur
klettern lassen.

Die gefühlte Temperatur lässt sich in eine physiologisch gerechte
Bewertung des thermischen Empfindens "übersetzen". Eine gefühlte
Temperatur zwischen 0 und +20 Grad empfinden wir als angenehm, man
spricht daher auch vom "Behaglichkeits-" oder "Komfortbereich". Ist
es kälter oder wärmer, leiden wir unter Kältestress bzw.
Wärmebelastung (siehe Tabelle unter
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2018/1/8.html). Je
weiter sich die gefühlte Temperatur vom Komfortbereich entfernt, umso
stärker werden Herz, Kreislauf und periphere Gefäße belastet.

So muss unter sehr warmen Bedingungen das Herz eine höhere Leistung
erbringen, da es viel durch Schweißverdunstung auf der Haut
abgekühltes Blut umwälzen muss, um den Körperkern bei der für alle
Organfunktionen optimalen Temperatur von ca. 37 °C zu halten. Da der
Mensch aber kein Standardobjekt, sondern ein Individuum ist, kommt es
individuell auch zu abweichenden Beurteilungen vom thermischen
Komfort bzw. Diskomfort. Faktoren wie unterschiedliche
Akklimatisation und auch genetische Adaption spielen dabei eine
Rolle.

Schaut man auf die gefühlte Temperatur von heute früh 8 Uhr (siehe
Grafik (1)), so liegen diese in Norddeutschland verbreitet unter -10,
gebietsweise sogar unter -15 Grad, sodass unser "Michel" schwachen
bis mäßigen Kältestress empfindet. Heute Mittag (Grafik (2)) wird es
zwar gefühlt wärmer mit Werten um -9 Grad, vom Komfort ist man da
aber auch noch ein ganzes Stück entfernt. In den nächsten Tagen macht
die bereits im Süden Deutschlands lagernde milde Luft allmählich Raum
nach Norden gut, im Nordosten bleibt es am längsten beim schwachen
Kältestress.

M.Sc. Met. Stefan Bach
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.01.2018

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