Thema des Tages

28-03-2018 08:20

Wie weit fortgeschritten ist die Vegetation?


Um die Frage zu klären, inwieweit die Kältephasen im Februar und
Mitte März die Vegetation zurück gehalten haben widmen wir uns
zunächst einmal einem Teilbereich der Meteorologie: der Phänologie.
Die Phänologie beschäftigt sich mit den jedes Jahr vom Wetter
abhängigen wiederkehrenden Wachstums- und Entwicklungszuständen von
Pflanzen. Diese Entwicklungsphasen werden von zahlreichen
ehrenamtlichen Beobachtern erfasst und in einem phänologischen
Kalender notiert. Dafür werden bestimmte Zeigerpflanzen herangezogen.
Zum Beispiel ist die Forsythienblüte charakteristisch für den Beginn
des Erstfrühlings. Weil in diesem Jahr bisher nur an 10 % der
phänologischen Messstationen eine Forsythienblüte beobachtet wurde,
lässt sich dadurch zurzeit nur schwer eine Aussage treffen.

Da der Vegetationszustand allerdings maßgeblich von der Temperatur
abhängt, soll hier ein anderer Ansatz gewählt werden: Die sogenannte
?Grünlandtemperatursumme? ist eine spezielle Wärmesumme, die zu Hilfe
genommen wird, um den nachhaltigen Vegetationsbeginn zu bestimmen.
Zur Berechnung der Grünlandtemperatursumme werden alle positiven
Tagesmitteltemperaturen seit Jahresbeginn aufsummiert. Diese werden
allerdings nach Monaten gewichtet. Das heißt, im Januar wird das
Tagesmittel mit dem Faktor 0,5 multipliziert, im Februar mit 0,75. Ab
März geht dann der volle Wert ein. Erreicht die
Grünlandtemperatursumme die magische Grenze von über 200 Grad, ist
der nachhaltige Vegetationsbeginn erreicht. In Mitteleuropa wird
damit der Termin für das Einsetzen der Feldarbeit bestimmt. Man
spricht dann auch vom Beginn des agrarmeteorologischen Frühlings, der
häufig mit dem Beginn der Forsythienblüte zusammenfällt.

Die beigefügte Grafik zeigt die Entwicklung der
Grünlandtemperatursumme im Frühjahr der vergangen 30 Jahre für
Frankfurt. Die rote Kurve markiert den Mittelwert. Die 200 Grad
werden im Mittel am 12. März erreicht. In den meisten anderen
Regionen Deutschland ist es kühler und das Datum ist entsprechend
später. Extrem hohe Werte traten zum Beispiel in den Jahren 1994 und
2007 auf, als die Ergrünung bereits Ende Februar einsetzte. In den
kalten Frühjahren 1996, 2006 und 2013 wurde die 200-Grad-Marke erst
Anfang April erreicht.

Auffällig ist in diesem Jahr (grüne Linie) die bereits weit
überdurchschnittlich hohe Summe Ende Januar, die auf einen sehr
milden Januar zurückzuführen ist. So setzte vielerorts die
Schneeglöckchenblüte, die den Beginn des Vorfrühlings markiert,
besonders zeitig ein. Durch eine Kältewelle im Februar stagnierte die
Grünlandtemperatursumme und somit auch die Vegetation für einen
langen Zeitraum, soweit, dass sie sogar unter den Durchschnitt fiel.
Eine wärmere Phase in der ersten Märzhälfte sorgte dafür, dass
zumindest in den wärmer gelegenen Regionen Deutschlands die
Vegetation nachhaltig einsetzte (in Frankfurt am 16. März). In der
Nordosthälfte Deutschlands, wo es noch mal deutlich kälter war, sind
wir noch weit davon entfernt. Die kalte Witterung der vergangenen
Wochen hat dann kaum noch für einen Anstieg gesorgt, sodass die
derzeitige Grünlandtemperatursumme mit zu den niedrigsten der
vergangen 30 Jahre zählt. Grob geschätzt lässt sich sagen, dass je
nach Region die Vegetation etwa 6 bis 10 Tage hinter dem Mittel
zurückliegt. Dieser Rückstand wird sich über Ostern bei den
vorhergesagten kühlen Temperaturen, Nachtfrösten und Schneefällen im
Bergland und Nordosten sogar noch etwas vergrößern. Erst nächste
Woche deutet sich eine deutliche Erwärmung an, wobei die Vegetation
dann regelrecht explodieren könnte.


Dipl.-Met. Christian Herold
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 28.03.2018

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