Thema des Tages

27-05-2016 14:40

Gewitterpotential - Oder warum keine ortsgenaue Prognose möglich ist


Der heutige Freitag bildet den Auftakt zu einem gewitterträchtigen
Wochenende mit erhöhtem Unwetterpotential. Damit wird sich aber
sicherlich auch wieder unser Postfach füllen mit Beschwerden über
falsche Vorhersagen. Wie kann es sein, dass trotz teurer Superrechner
der Wetterdienst nicht in der Lage ist, einen Tag vorher zu sagen, ob
nun Gewitter auftreten oder nicht? Ständig wird von Unwettern
gesprochen und dann gibt es doch wieder nur ein laues Sommergewitter.
Man hat das Gefühl, die Vorhersagen werden immer schlechter und
ungenauer.

Das heutige Thema des Tages soll ein wenig Klarheit in die
Problematik der Gewittervorhersage bringen und zeigen, was der
Vorhersager kann und was eben nicht.

Zu Beginn ein paar grundlegende Dinge. Damit Gewitter entstehen
können, bedarf es einiger grundlegender Zutaten. Zum einen muss genug
Feuchtigkeit in der Luft sein, damit sich Quellwolken und daraus
Gewitter entwickeln können. Als zweite Zutat benötigt man Labilität.
Diese ergibt sich, wenn sich die Luft mit der Höhe rasch abkühlt. Ein
am Boden erwärmtes Luftpaket hat dann die Möglichkeit rasch
aufzusteigen, da warme Luft leichter ist als kalte Luft. Zu guter
Letzt wird noch Hebung benötigt. Dies kann beispielsweise passieren,
wenn sich entlang einer Kaltfront kalte Luft wie ein Keil unter
vorgelagerte warme Luftmassen schiebt und diese damit anhebt. Eine
weitere Möglichkeit sind zusammenströmende Luftmassen am Boden
(Konvergenz). Wenn Nordostwind und Südwestwind beispielsweise
aufeinander treffen, dann muss die Luft irgendwohin ausweichen - sie
steigt auf. Wenn jetzt noch der Wind mit der Höhe Richtung und
Geschwindigkeit ändert, dann sind alle Voraussetzungen für Gewitter
und auch Unwetter gegeben.

Die verschiedenen Zutaten kommen allerdings nicht überall
gleichermaßen vor und sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Die
Aufgabe des Meteorologen ist es zu schauen, in welchen Regionen sich
die verschiedenen Zutaten am besten überlappen. Nur dort, wo auch
alles vorhanden ist, können sich Gewitter entwickeln. Das ist wie
beim Kochen: Fehlt eine Zutat, dann schmeckt es nicht. Die
Schwierigkeit liegt nun darin, dass kleine Verschiebungen bei nur
einer Zutat dazu führen können, dass sich auch die Region für das
Gewitterpotential verschiebt. So können ein Regengebiet oder ein
übrig gebliebenes Gewitter aus der Nacht die Sonneneinstrahlung
unterbinden und damit der Zutat Labilität einen Strich durch die
Rechnung machen. Oder die Konvergenz liegt 100 km weiter südlich als
vorhergesagt, sodass sich auch die Zutat Hebung verschiebt. Die
Unsicherheiten sind so vielfältig wie die Wettervorhersage an sich.
Nicht verwunderlich ist es dann also, dass sich auch das
Gewitterpotential von einem auf den anderen Tag verschieben und
verändern kann.

Da kommt auch schon der nächste Punkt mit ins Spiel. In der Mehrzahl
der Fälle ist es eigentlich nicht möglich, für einen bestimmten Ort
im Vorfeld zu sagen, dass es definitiv ein Gewitter oder gar Unwetter
geben wird. Dies hängt vor allem mit der Kleinräumigkeit der
Gewitter zusammen. Wer hat nicht schon einmal davon gehört, dass der
Nachbarort unter Wasser stand, während man selbst die Regentropfen an
einer Hand abzählen konnte. Am besten stellt man sich einen
Wassertopf auf die Kochplatte und versucht zu erraten, wo die erste
Blase nach oben steigt. Das ist etwa genauso schwierig, als wenn wir
vorhersagen müssten, wo das erste Gewitter über Deutschland entsteht.
Genauso ist es mit der weiteren Entwicklung: Gewitter können
plötzlich in eine etwas andere Richtung ziehen, sich kurzfristig
verstärken oder abschwächen. Das Prinzip des Chaos schlägt hier zu
Buche.

Was kann der Vorhersagemeteorologe dann eigentlich? Wir können vor
der Entwicklung von Gewittern mit den oben beschriebenen Zutaten
Regionen festlegen, wo ein erhöhtes Potential dafür besteht, dass
diese auftreten. Auch können wir Aussagen treffen, wo die
Unwettergefahr erhöht ist. Haben sich die Gewitter entwickelt, sind
wir in der Lage, die Stärke und die Verlagerung zu prognostizieren.
Immer aber mit einem gewissen Unsicherheitsbereich, sodass oft
größere Gebiete im Vorfeld bewarnt werden (müssen), als am Ende
tatsächlich betroffen sind. Ein sicherlich extremes Beispiel ist ein
Tornado, der oft nur einen Durchmesser von wenigen hundert Metern
hat. Nehmen wir an, ein Landkreis würde eine Warnung vor einem
solchen Tornado bekommen. Dann würden aufgrund der Kleinräumigkeit
sicher 99.9% der Bewohner des Landkreises eine Beschwerdenachricht
über die falsche Vorhersage schreiben, während der kleine Rest vor
den Trümmern ihrer Häuser steht.

Diese verschiedenen Punkte muss man sich immer wieder vor Augen
führen, dann fällt das Verständnis einer Gewitterprognose sicher auch
leichter und man weiß genau, wie damit umzugehen ist. Und am Ende,
ist man ehrlich, ist doch fast jeder auch froh, wenn er unbeschadet
davongekommen ist.


Dipl.-Met. Marcus Beyer
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 27.05.2016

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst