Thema des Tages

24-04-2018 08:50

Die Neumayer-Station - Teil 2: Das Klima

Vor kurzem haben Sie an dieser Stelle (Thema des Tages vom
04.04.2018) bereits etwas über die Neumayer Station III in der
Antarktis erfahren, die vom Alfred Wegener Institut (AWI) betrieben
wird. Während sich hierzulande die Temperaturen aktuell wieder
einigermaßen normalisieren, steuert das zehn Mann starke
Überwinterer-Team auf der antarktischen Forschungsstation
schnurstracks dem Südwinter entgegen. In rund einem Monat beginnt
dort bereits die Polarnacht, in der es die Sonne nicht mehr über den
Horizont schafft.

Während des Sommerhalbjahres, genauer gesagt im Zeitraum von Anfang
November bis Ende Februar, tummeln sich dagegen zusätzlich zu den
Überwinterern zahlreiche "Sommergäste" auf der Station. Zusammen mit
AWI-Logistikern, Wissenschaftlern, Projektmitarbeitern und
Mechanikern/Ingenieuren, die für die Instandhaltung der Station und
ihres Umfelds verantwortlich sind, bewohnen somit zeitweise um die 50
Leute den Trakt. Darunter befindet sich auch ein
Vorhersagemeteorologe des Deutschen Wetterdienstes, über dessen
Aufgaben Sie im morgigen Thema des Tages mehr erfahren. Doch warum
ist die Besucherzeit ausgerechnet auf diese Monate beschränkt?

Nun, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, hat das mit den
klimatologischen Bedingungen vor Ort zu tun, die in der restlichen
Zeit des Jahres für Schiffe (kompaktes, großflächiges Meereis,
Stürme) und Flugzeuge (zu kalte Temperaturen, tiefe Wolken, Stürme)
pauschal gesagt einfach zu kritisch sind. Doch dazu nun im Detail
etwas mehr:

Temperatur:
Spricht man mit Freunden und Familie über die eigenen Erfahrungen in
der Antarktis, kommt in der Regel umgehend die Frage auf: "Was, Du
warst in der Antarktis? Und, wie kalt war es dort?" Die Antwort
darauf ist für viele meist enttäuschend - zumindest bezogen auf die
Neumayer-Station. So beträgt die Jahresmitteltemperatur dort "nur"
minus 16 Grad Celsius. Positive Tageshöchstwerte sind im Dezember und
Januar keine Seltenheit. Der Rekord aus dem Jahr 1987 liegt sogar bei
"satten" 7,5 Grad Celsius - plus wohlgemerkt. Dabei darf man nicht
vergessen, dass der Standort in unmittelbarer Reichweite zum Meer
liegt. Während offenes Wasser zum Ende des Sommers in der Regel rund
50 km entfernt ist, sind es im Winter durch kompaktes Meereis locker
mehr als 1000 km! Somit geht in der dunklen Jahreszeit die Temperatur
ordentlich in den Keller. Das absolute Minimum ist mit -50,2 Grad vom
08. Juli 2010 datiert. Wie anhand des zeitlichen Verlaufs der
jährlichen Temperaturkurve seit Beginn der 80er Jahre zu erkennen ist
(siehe Anhang), sind in den vergangenen 35 Jahren keinerlei Trends
auszumachen.

Wind:
In den Sommermonaten befindet sich die Frontalzone mit potentiellen
Sturmentwicklungen häufig weiter im Norden bei etwa 60 Grad südlicher
Breite und das antarktische Hoch ist aufgrund permanenter
Einstrahlung (Polartag) ebenfalls abgeschwächt. In Kombination führt
das zu einem Windminimum an der Neumayer-Station, teilweise sogar zu
windstillen Bedingungen. Ab und an bringen heranziehende Stürme aber
doch mittlere Windgeschwindigkeiten von rund 80 km/h (Bft 9),
durchweg aus östlicher Richtung. Kein Vergleich dennoch zum Maximum
in den Wintermonaten, in denen schon mehr als 150 km/h im Mittel
registriert wurden. Wer sich nun noch deutlich höhere
Spitzengeschwindigkeiten in Böen erhofft hat, wird leider enttäuscht;
sie betragen "lediglich" 167 km/h. Aufgrund der kalten bodennahen
Grundschicht bei gleichzeitiger Temperaturzunahme mit der Höhe
(stabile Schichtung, Inversion), hält sich die Böigkeit in Grenzen.

Niederschlag:
Man kann sich leicht ausmalen, dass bei Stürmen keinerlei
Außenaktivitäten mehr möglich sind. Je nach vorhandenem lockeren
Neuschnee setzt bei Windgeschwindigkeiten von rund 35 km/h bereits
bodennahe Drift ein (noch ungefährlich), die ab etwa 55 km/h
zunehmend nach oben anwächst und ins Schneetreiben übergeht.
Entsprechend sind die Sichten herabgesetzt, was im Falle einer
weiteren Windzunahme oder einsetzendem Niederschlag letztlich zu
sogenannten White Out Verhältnissen führen kann. Das bedeutet, dass
keine Unterscheidung zwischen Boden und Himmel mehr möglich ist.
Dabei droht der totale Gleichgewichts- und Orientierungsverlust. Im
Schnitt hat man es an der Station immerhin an einem Drittel der Tage
im Jahr mit derartigen Witterungsverhältnissen zu tun. In seltenen
Fällen kann sich ein White Out auch bereits bei geschlossener
Bewölkung (Bewölkungs-White Out) oder diffuser Sonneneinstrahlung
(Strahlungs-White Out) einstellen. Infolge der häufigen Drift
gestaltet sich die Niederschlagsmessung respektive Trennung zwischen
gefallenem Neuschnee und vedriftetem Altschnee nachvollziehbarerweise
schwierig. Aus Erfahrung liegt der Nettoneuschneezutrag im Jahr bei
über einem Meter.

Bei derart extremen äußeren Klimabedingungen ist es umso wichtiger,
dass das Binnenklima stimmt. Mit ausgeklügelten Auswahlverfahren
sowie einer umfassenden Vorbereitungs- und Kennenlernphase wird ein
Team zusammengestellt, das die Herausforderungen in aller Regel
erfolgreich meistert.
*

Dipl.-Met. Robert Hausen
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 24.04.2018

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