Thema des Tages

06-07-2018 08:20

Numerische Wettervorhersage - ein weltumspannendes Spinnennetz

Für eine Wetterprognose bedient man sich heutzutage sogenannter
numerischer Wettervorhersagemodelle (NWV-Modelle). Dabei handelt es
sich um komplexe Computerprogramme, welche die für das Wetter
verantwortlichen physikalischen Prozesse in der Atmosphäre
beschreiben. Diese NWV-Modelle berechnen die atmosphärischen
Zustandsgrößen (z.B. Temperatur, Wind, Wasserdampf) auf einem
dreidimensionalen Gitternetz. Man kann sich das wie ein riesiges
weltumspannendes und mehrschichtiges Spinnennetz vorstellen. Je
feiner die Maschenweite eines solchen Gitters ist, desto
kleinräumigere atmosphärische Prozesse können mit dem Modell
berücksichtigt werden und umso genauer wird letztendlich die
Vorhersage. Besitzt das Modell beispielsweise eine horizontale
Maschenweite von etwa 2 km - wie das vom Deutschen Wetterdienst (DWD)
entwickelte COSMO-D2-Modell - so werden einzelne Schauer- und
Gewitterzellen mit einem Durchmesser von etwa 10 km zumindest
teilweise aufgelöst. Bei einer Maschenweite von mehreren Dutzenden
Kilometern würde hingegen das Gewitter buchstäblich durchs Netz
fallen und kann daher auch nicht explizit beschrieben werden.



Im Thema des Tages vom 10. Mai (siehe erster Link) wurde gezeigt,
dass für eine 2-Tages-Vorhersage mit dem COSMO-D2-Modell für ein
Gebiet in der Größenordnung von Deutschland bereits Billionen an
Rechnungen durchgeführt werden müssen. Man kann sich leicht ausmalen,
dass man nicht den ganzen Globus mit einem derart feinen Gitter
umspannen kann. Deshalb rechnet der DWD das COSMO-D2 auch nur auf
einem relativ kleinen Gebiet von etwa 1400 km x 1600 km. Man
bezeichnet ein solches Modell daher als Ausschnittsmodell.



Das Ausschnittsmodell alleine reicht aber für eine Wettervorhersage
für Deutschland nicht aus. Die Entstehung von Hoch- und
Tiefdruckgebieten, die den Wettercharakter maßgeblich bestimmen, wird
durch großräumige Strömungen in der Atmosphäre rund um den Globus
beeinflusst. Man muss also die Luftbewegungen auf der ganzen Welt
kennen, um das Wetter für eine bestimmte Region prognostizieren zu
können. Der US-amerikanische Meteorologe Edward N. Lorenz erklärte
dazu im Jahre 1972, dass praktisch der Flügelschlag eines
Schmetterlings in Brasilien in irgendeiner Weise auch mit einem
zukünftigen Tornado in Texas zusammenhängt. Man bezeichnet diese
Theorie daher als "Schmetterlingseffekt".



Für ein Ausschnittsmodell ist es also wichtig, welche Temperatur und
Feuchtigkeit mit welcher Windgeschwindigkeit am Rand in das
Modellgebiet hineinströmt und an anderer Stelle wieder das Gebiet
verlässt. Man bezeichnet diese für das Modell essentiellen
Informationen als Randbedingungen. Diese werden von einem sogenannten
Globalmodell zur Verfügung gestellt. Der DWD verwendet für eine
weltweite Wettervorhersage das ICON (ICosahedral NOnhydrostatic)
Modell (siehe zweiter Link). Wie der Name bereits sagt, benutzt das
ICON-Modell eine Ikosaeder-Gitterstruktur. Dabei handelt es sich um
eine Art Dreiecksgitter, welches die Welt umspannt (siehe Abbildung).
Aktuell besitzt das ICON-Modell eine Maschenweite von etwa 13 km,
womit die Atmosphäre mit 2.949.120 Dreiecken mit einer Fläche von je
173 Quadratkilometern beschrieben wird. Mit insgesamt 90 vertikalen
Schichten besteht das Modell somit aus etwa 265 Millionen
Gitterpunkten. Alle Modellvariablen wie Luftdichte, Temperatur, Wind,
Wasserdampf, Wolkenwasser, Wolkeneis sowie Regen- und Schneegehalt
sind als Mittelwerte über die einzelnen Gitterflächen anzusehen.



ICON wird viermal am Tag gerechnet. Dazu benötigt man modernste
Hochleistungsrechner, um in der nötigen Schnelligkeit die
Modellsimulation durchführen zu können und um nicht erst fertig zu
werden, wenn das vorhergesagte Wetter bereits in der Vergangenheit
liegt. Je Vorhersagetag benötigt das ICON auf dem
Hochleistungsrechner des DWD etwa 8 Minuten Rechenzeit und erzeugt
eine Datenmenge von rund 900 GB für eine 7-Tage-Prognose - eine
enorme Datenmenge.



Doch nun zurück zur Deutschlandvorhersage. Um die Randbedingungen für
das COSMO-D2 zu bekommen, werden die meteorologischen Größen vom
groben ICON- auf das feine COSMO-D2-Gitter interpoliert. Man nennt
diesen Prozess Modell-Nesting. Der Unterschied zwischen einer 2,2 km
(COSMO-D2) und einer 13 km (ICON) Maschenweite ist jedoch recht groß,
wodurch die Interpolation ziemlich ungenau werden würde. Deshalb
führt man ein doppeltes Nesting durch. Das Globalmodell ICON liefert
zunächst die Randwerte für das "Europamodell" ICON-EU mit einer
Maschenweite von etwa 6,5 km (umgekehrt fließen auch die feineren
Informationen aus ICON-EU wieder in die globale ICON-Vorhersage ein
(Zwei-Wege-Kopplung)). ICON-EU stellt schließlich im zweiten Schritt
die Randwerte für das COSMO-D2 bereit, womit sich der Kreis schließt.
Eine numerische Wettervorhersage ist also ein ganz schön
komplizierter und rechenintensiver Prozess!


Dipl.-Met. Dr. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 06.07.2018

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