Thema des Tages

17-07-2018 07:50

Der Platane platzt der "Kragen"

Es ist ein warmer, angenehmer Sommerabend. Ich spaziere einen kleinen
Weg entlang, der durch einen der Offenbacher Stadtparks führt. Es
bietet sich mir zunächst die übliche Geräuschkulisse, eine
Komposition aus permanentem Rauschen der in Frankfurt startenden und
landenden Flugzeuge und sporadischem Vogelgezwitscher. Doch plötzlich
ist ein nicht allzu lautes, aber durchaus wahrnehmbares Knarzen zu
hören. Ich richte den Blick nach oben und sehe ein Stück Borke nach
unten segeln, das sich von einer der vielen den Wegesrand säumenden
Platanen löste. Mir fällt auf, dass die braun-verbrannten
Überbleibsel der ehemals grünen Wiesen links und rechts des Weges
schon nahezu bedeckt sind von unzähligen, etwa handflächengroßen
Borkenstücken. Es scheint fast so, als hätten sich alle ansässigen
Platanen abgesprochen, sich von Teilen ihrer Borke zu entledigen.

Tatsächlich kann man dieses Phänomen in Deutschland aktuell an vielen
Orten nahezu zeitgleich beobachten - und das in einer Ausprägung, wie
sie in den vergangenen Jahren selten auftrat. Daher liegt der
Verdacht nahe, dass es sich hierbei um eine Reaktion der Platane auf
besondere meteorologische Begebenheiten handelt, z. B. auf die
derzeit regional herrschende extreme Trockenheit.

Dass die Platane immer wieder Teile ihrer Borke abwirft, ist
prinzipiell ein Vorgang, der sich losgelöst von sich stark
verändernden äußeren Einflüssen regelmäßig vollzieht und eher ein
Zeichen von Gesundheit ist. Zum einen vergrößert der Baum seinen
Holzkörper Jahr für Jahr, er wächst in die Breite. Weil die Borke als
äußerste Schicht und als bereits abgestorbenes Gewebe der Rinde nicht
mitwächst bzw. sich nicht ausdehnen kann, gerät sie unter Spannung.
Da die Platane keine Ringelborke hat, sondern Schuppen, reißt die
Borke nicht, sie löst sich in Platten ab. Daher auch der
charakteristische fleckige "Militärlook". Zum anderen kann auch ein
zweiter Blattaustrieb im Sommer eine Vergrößerung des Stammumfanges
und damit ein "Absprengen" der Borke zur Folge haben.

Die Platane als typischer "Stadtbaum" ist zwar widerstandsfähig, doch
es ist davon auszugehen, dass auch sie wie viele andere Pflanzen von
der in Teilen Deutschlands unvermindert anhaltenden Trockenheit
"gestresst" ist. Man vermutet, dass der Baum als Reaktion auf Hitze
und Wassermangel gerade am Tage versucht, Wasser aus den Tiefen des
Bodens stärker "aufzusaugen". Dadurch verringert sich der Stammumfang
vorübergehend, um nachts wieder auf "Normalgröße" anzuwachsen. Die
Variation des Stammumfanges führt zu einem verstärkten Abblättern der
Borke.

Ursache dafür ist der sog. "Sog-Effekt", der auf dem Gesetz von
Bernoulli beruht. Durch unterschiedliche Strömungsgeschwindigkeiten
des Wassers entstehen unterschiedliche statische und dynamische
Drücke. Vereinfacht ausgedrückt: Fließt das Wasser schneller, ist der
Druck nach außen kleiner. Durch den Unterdruck im Stamm resultiert
eine Kraft, die den Stamm zusammenzudrücken versucht. Man kann sich
das vorstellen wie bei einem erfrischenden Kaltgetränk, das wir an
warmen Sommertagen genüsslich mit einem Strohhalm zu uns nehmen. Wenn
wir das Getränk aufsaugen, werden unsere Wangen auch schmaler.

Wie vermutlich einigen Landwirten platzt also auch der Platane
angesichts der teilweise extremen Witterung wortwörtlich der "Kragen"
- und die Wetteraussichten werden weder Landwirten noch Platanen
gefallen: Der ersehnte, länger anhaltende und verbreitet auftretende
Landregen bleibt bis auf weiteres aus. Zwar regnet es im äußersten
Osten und Nordosten in den nächsten 24 bis 48 Stunden teilweise etwas
kräftiger, ansonsten bleibt es aber nur bei einzelnen Schauern und
Gewittern, die ja bekanntlich bei weitem nicht jeden treffen.

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.07.2018

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