Thema des Tages

23-07-2018 08:20

Meteotsunamis - Tsunamis im Kleinformat

Spätestens seit dem 26. Dezember 2004 ist der Begriff "Tsunami" wohl
den meisten Menschen bekannt. Damals führte ein Tsunami, der durch
ein unterseeisches Erdbeben in der Nähe der indonesischen Insel
Sumatra ausgelöst wurde, zu einem unfassbar großen Verlust an
Menschenleben und materiellen Werten. Er beraubte Millionen von
Menschen in den betroffenen Ländern rund um den Indischen Ozean ihrer
Lebensgrundlage.

Das Wort "Tsunami" wurde durch japanische Fischer geprägt. Diese
fanden einst bei der Rückkehr vom Fischfang im Hafen alles verwüstet
vor, obwohl sie auf der offenen See keine Welle bemerkt hatten. Aus
diesem Grund nannten sie die mysteriösen Wellen tsu-nami, also "Welle
im Hafen".
Ausgelöst wird ein Tsunami durch die plötzliche vertikale
Verschiebung des Meeresbodens bei einem unterseeischen Erdbeben. Der
dadurch an der Oberfläche entstehende "Berg" (oder auch das
entstehende "Tal") breitet sich - wie wenn man einen Stein ins Wasser
wirft - als sogenannte Flachwasserwelle in horizontaler Richtung aus.
Die anfängliche Wellenhöhe liegt dabei typischerweise bei einigen
Dezimetern, die Wellenlänge bei 100 bis 300 Kilometern. Unter der
Annahme, dass sich die Meerestiefe nicht ändert, wandert die Welle
praktisch ohne Abschwächung mit ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit,
die sich über die Wurzel des Produkts aus Erdbeschleunigung und
Meerestiefe berechnen lässt, über viele hundert oder tausend
Kilometer über das Meer. Dort wird sie wegen der großen Wellenlänge
und der geringen Wellenhöhe - wie oben bereits erwähnt - nicht
wahrgenommen. Nähert sich die Welle jedoch dem Land, wird im
Allgemeinen die Wassertiefe geringer. Dies führt dazu, dass sich die
Ausbreitungsgeschwindigkeit verlangsamt und somit aus energetischen
Gründen die Wellenlänge kürzer und die Wellenhöhe größer wird. Auf
die Herleitung soll jedoch an dieser Stelle verzichtet werden. Die so
beträchtlich anwachsenden Wellen verursachen dann beim Auftreffen auf
das Land teils erhebliche Schäden.

Ein wahrscheinlich weit weniger bekanntes Phänomen sind
Meteotsunamis, deren Physik der eines "normalen" Tsunamis gleicht.
Auslöser der Welle sind jedoch keine Erdbeben, sondern
kurzperiodische Luftdruckschwankungen. Eine Luftdruckänderung an der
Meeresoberfläche bewirkt ein Anheben (bei geringer werdendem
Luftdruck) oder Absenken (bei Luftdruckanstieg) derselben. Dabei
entspricht eine Luftdruckänderung um ein Hektopascal einer Änderung
der Wassersäule um einen Zentimeter. Meteorologische Phänomene wie
beispielsweise die Böenlinien bei Gewittern erzeugen typischerweise
Bodendruckschwankungen von 1 bis 4 hPa innerhalb weniger Minuten, was
eine Änderung des Meeresspiegels von 1 bis 4 cm bedingt.

Diese geringe Änderung würde man natürlich an der Küste überhaupt
nicht merken. Dazu bedarf es noch anderer Faktoren: So müssen die
Druckschwankungen über einen größeren Zeitraum auf die gleichen
Stellen der wandernden Flachwasserwelle einwirken. Das ist dann
möglich, wenn die Druckimpulse mit der gleichen Geschwindigkeit
wandern wie die durch sie angeregten Wellen. Diese Bedingung nennt
man nach dem britischen Ozeanografen Joseph Proudman auch
Proudman-Resonanz. Nimmt man an, die Wassertiefe beträgt in
Küstennähe (wo Meteotsunamis üblicherweise entstehen) 100 Meter, so
beträgt die Ausbreitungsgeschwindigkeit der angeregten Welle 31,3 m/s
(etwa 113 km/h), eine Geschwindigkeit, die bei Böenlinien durchaus
ebenfalls erreicht wird. Über dem freien, viel tieferen Ozean ist die
Ausbreitungsgeschwindigkeit deutlich größer, die Wasserwellen laufen
den Druckstörungen also davon. Nach MONSERRAT et al. (2006, Link 2)
bewirkt die Resonanz ein Ansteigen der Wellenhöhe um ein Zehnfaches,
also bspw. von 4 auf 40 cm.
Also braucht man - zusätzlich zum ohnehin immer flacher werdenden
Wasser - noch eine weitere Erscheinung, um einen deutlich erkennbaren
Meteotsunami zu generieren: die Hafenresonanz. Dabei muss die in den
Hafen, Fjord oder in eine enge Bucht einlaufende Welle die gleiche
Schwingungsfrequenz haben wie die Eigenfrequenz des hin und
herschwappenden Wassers im Hafenbecken (diese bezeichnet man auch als
Seiches). Dann kann es insgesamt zu einer deutlichen
Amplitudenverstärkung kommen, wobei das Wasser im Hafenbecken
mitunter erst zurückweicht, bevor die Welle kommt.

In der Bucht von Nagasaki kam es am 31. März 1979 mit einer
Wellenhöhe von 4,78 Metern zu einem ausgesprochen starken
Meteotsunami, der auch drei Menschenleben kostete. In Japan werden
Meteotsunamis "abiki" oder "yota" genannt. Ebenfalls besonders heftig
traf es am 21. Juni 1978 den kroatischen Hafenort Vela Luka, wo die
Welle des "sciga" nach Augenzeugenberichten sogar ca. sechs Meter
erreicht haben soll! Aber auch in anderen Gegenden der Erde kommt es
immer wieder mal zu mehr oder weniger starken Meteotsunamis. Auf
Sizilien heißen sie "marrobbio", in Malta "milghuba" oder eben
"rissaga" auf den Balearen. Dort gab es vor einer Woche einen
Meteotsunami, der in der Bucht von Ciutadella (Menorca) und im
nordmallorcinischen Städtchen Alcúdia beobachtet wurde. Dort hat die
eineinhalb Meter hohe Welle u.a. die Strandpromenade überschwemmt
(siehe Video unter Link 1). Selbst an Nord- und Ostsee können
sogenannte "Seebären" auftreten.

Stellt sich natürlich noch die Frage nach der Vorhersagbarkeit
solcher Ereignisse. Bei den "großen" Tsunamis besteht die
Schwierigkeit darin, das Auftreten von Erdbeben vorauszusagen. Kommt
es aber zu einem Erdbeben, kann mithilfe einer Kombination von
seismischen und ozeanischen Messungen und Vorhersagemodellen die
Bevölkerung frühzeitig gewarnt werden. Bei Meteotsunamis lassen sich
zwar die Ursachen - wie Gewitter mit ihren Böenlinien - einigermaßen
gut vorhersagen, allerdings müssten zusätzlich kleinräumige
Luftdruck- und Meerespegelschwankungen gemessen werden. Einen Ansatz
für ein solches Warnsystem für die Adria liefern SEPIC und VILIBIC
(2011, Link 3). Der spanische Wetterdienst (Agencia Estatal de
Meteorología) gibt bereits seit 1984 "Rissaga-Warnungen" heraus, dies
aber eher als Potenzialabschätzung auf Basis der reinen
Wettervorhersage.

M.Sc. Met. Stefan Bach
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 23.07.2018

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