Thema des Tages

08-06-2016 14:40

Land- und Waterspouts - Tornados der besonderen Art

Dass es durchaus starke Tornados auch in Deutschland gibt, ist nichts
Neues. Die sowohl räumlich als auch zeitlich eng begrenzte Häufung
über Schleswig-Holstein, nicht zuletzt auch die zum Teil
atemberaubenden Foto- und Videoaufnahmen, dürften dann aber doch
einige überrascht oder erstaunt haben. Am späten Sonntagnachmittag
(05.06.) ereignete sich bei Jübek das bemerkenswerte Naturschauspiel
eines sog. "Zwillingstornados", es wirbelten also zwei Tornados in
unmittelbarer Nachbarschaft zugleich. Nur wenig später trat ein
Weiterer in der Nähe von Meyn auf. Am darauffolgenden Montag (06.06.)
konnte schließlich in Stedesand ein Tornado beobachtet werden. Was
die Tornadosichtung in Hamburg vom gestrigen Dienstag angeht, müssen
noch abschließende Untersuchungen abgewartet werden.

Das relativ konzentrierte Auftreten mehrerer Tornados in wenigen
Stunden und Tagen gerade über dem "hohen Norden" Deutschlands ist ein
Resultat ganz spezieller meteorologischer Bedingungen. Die
beobachteten Tornados über Schleswig-Holstein unterscheiden sich von
den meisten anderen ihrer Art. Denn was einige vielleicht nicht
wissen: Tornado ist nicht gleich Tornado! Je nachdem, welche
meteorologischen Voraussetzungen gegeben sind, sorgen grundlegend
verschiedene Mechanismen für die Entstehung artverwandter, aber doch
hinsichtlich ihrer Physik fremder Tornadotypen.

Im Wesentlichen unterscheidet man zwischen Typ-I-Tornados und
Typ-II-Tornados. Dem Typ-I-Tornado (dem "klassischen Typ") liegt eine
mächtige, rotierende Gewitterwolke zugrunde. Ein komplexes
Zusammenspiel zwischen der rotierenden Wolke, den rotierenden
Aufwinden und Abwinden unter der Wolke kann unter bestimmten
atmosphärischen Voraussetzungen zur Bildung von Luftwirbeln bis zum
Erdboden, also zu teils gefährlichen Tornados, führen. Die Rotation
der Gewitterwolke lässt sich dabei in vielen Fällen durch
Wetterradare detektieren, was durchaus als erstes entscheidendes
Signal für das mögliche Auftreten eines Tornados interpretiert werden
kann. Der Typ-II-Tornado dagegen steht nicht zwangsläufig mit einer
rotierenden Gewitterwolke in Verbindung. Die "Wirbelhaftigkeit"
speist ein solcher Tornado im Wesentlichen aus den bodennahen
Luftschichten und nicht, wie bei Typ I, aus der rotierenden
Gewitterwolke. Kräftige Aufwinde unter einer Kumuluswolke (es muss
nicht zwingend eine Gewitterwolke sein) "ziehen" die erdbodennahen
Wirbel nach oben, wobei durch wiederum vielfältige und komplexe
Prozesse die rotierende Luftsäule sichtbar werden kann.

Eine starke Temperaturabnahme mit der Höhe, z. B. durch bodennahe
Aufheizung aufgrund von Sonneneinstrahlung (wichtig für die
Entwicklung kräftiger Aufwinde), ausreichend Luftfeuchtigkeit und
Windscherung in den unteren Luftschichten (Winde aus
unterschiedlichen Richtungen) sind die essenziellen Voraussetzungen
für die Entstehung der Typ-II-Tornados. Gerade in den küstennahen
Regionen stellt das Zusammenströmen (oder auch konvergieren) von
auflandigen und ablandigen Winden häufig die notwendige Windscherung
bereit. Diese Konvergenz kann dabei sowohl über der See als auch über
dem Land sein, wodurch Tornados als sog. "Waterspouts" (deutsch:
Wasserhosen) oder "Landspouts" (eher unüblich: Landhosen) in
Erscheinung treten.

Am vergangenen Sonntag und Montag waren die Bedingungen in einem
schmalen Streifen über Schleswig-Holstein optimal für die Bildung von
Landspouts. Sie entwickelten sich an einer sehr gut definierten
Konvergenz unterhalb sich entwickelnder Gewitterzellen. Nicht nur die
besonderen und für Typ-II-Tornados günstigen meteorologischen
Begebenheiten ließen schnell auf Landspouts schließen. Dem geübten
Auge fiel sofort auch die typische laminare Struktur der Luftwirbel
auf. Zwar können Land- und Waterspouts nicht so stark werden wie die
"klassischen" Tornados, gefährlich sind sie natürlich trotzdem - da
darf man sich auch nicht von ihrem filigranen, beinah ästhetischen
Aussehen täuschen lassen.

Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 08.06.2016