Thema des Tages

11-06-2016 14:40

Vor 200 Jahren fiel der Sommer aus

Im April 1815 brach der auf der indonesischen Insel Sumbawa gelegene
und auch heute noch aktive Stratovulkan Tambora aus. Die Eruption
erreichte dabei die zweithöchste Intensität von 7 auf dem
Vulkanexplosivitätsindex (VEI). Bei diesem Ereignis wurden neben
ungefähr 150 km³ Staub und Asche unter anderem auch
Schwefelverbindungen in die Stratosphäre geschleudert, wo sie sich
als Schwefelsäureaerosole verteilten und wie eine Art Schleier um den
Globus legten.

Weil die Aerosoltröpfchen nur sehr klein sind und im Gegensatz zur
Troposphäre in der Stratosphäre das Ausregnen und Auswaschen als sehr
effektive Reinigungsprozesse fehlen, klingen die vulkanischen
Störungen nur durch langsames Ausfällen der Partikel ab. Von den
Aerosolen werden die Sonnenstrahlen teilweise absorbiert oder
zurückgestreut, wodurch es zur Erwärmung der Stratosphäre kommt. Am
Boden führen diese Vorgänge hingegen im Mittel zur Abkühlung des
Weltklimas, regional und abhängig von der Jahreszeit kommt es aber
gleichzeitig auch zu Erwärmungen. Da sich die Aerosolmasse mit einer
Halbwertszeit von etwa einem Jahr reduziert, können solche
klimatischen Veränderungen durchaus längere Zeit anhalten.

Allerdings deuten Auswertungen grönländischer und antarktischer
Eisbohrkerne darauf hin, dass der Ausbruch des Tambora nicht allein
verantwortlich dafür war, dass die Dekade von 1810 bis 1820 die
weltweit kälteste der letzten 500 Jahre wurde. Vielmehr wird
vermutet, dass andere größere Vulkanausbrüche (VEI größer gleich 4),
wie beispielsweise die des Awu (1812) und des Suwanosejima (1813)
bereits durch eine substanzielle Anreicherung von Aerosolen die
Durchschnittstemperatur sukzessive senkten. Ein weiterer
begünstigender Faktor war wohl auch die erheblich reduzierte
Aktivität der Sonne im sogenannten Daltonminimum (Periode geringerer
Sonnenfleckenaktivität zwischen 1790 und 1830).

Im Endeffekt resultierte daraus, dass die Sommermonate Juni, Juli und
August 1816 in Deutschland im Mittel etwa 1 bis 2,7 Grad kälter als
im Referenzzeitraum 1971-2000 ausfielen, wie auch die Grafik auf
http://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2016/6/11.html zeigt. In
Teilen Frankreichs gab es sogar negative Abweichungen von über 3
Grad. Im Juli trat Frost auf, in der Schweiz schneite es mitunter bis
in tiefe Lagen - das Jahr 1816 blieb "das Jahr ohne Sommer" und das
nicht nur in Europa. Auch im Osten Kanadas und in Neuengland fiel
während des eigentlichen Sommers Schnee, der in Quebec zeitweise eine
Höhe von 30 cm erreichte. Zudem kam es in Mitteleuropa zu schweren
Unwettern mit heftigen Regenfällen.

In der Folge führte alles zusammen zu katastrophalen Überschwemmungen
und Missernten und das, nachdem Europa erst kürzlich durch die
Napoleonischen Kriege gebeutelt wurde. Am stärksten betroffen waren
die Gebiete unmittelbar nördlich der Alpen: Baden, Württemberg,
Bayern, Vorarlberg, Elsass und Deutschschweiz, wo der Getreidepreis
1817 das Zweieinhalb- bis Dreifache des Niveaus von 1815 erreichte.
Aber nicht nur in Europa, sondern auch in der übrigen Welt hungerten
die Menschen angesichts der stark in die Höhe geschossenen Preise für
Getreide und Reis.
Übrigens reduzierte sich aufgrund der Nahrungsknappheit der
Pferdebestand in Europa beträchtlich, wodurch die Entwicklung der
Draisine vorangetrieben wurde. Im Königreich Württemberg, welches
besonders hart von den Folgen des "Jahres ohne Sommer" getroffen
wurde, stiftete König Wilhelm I. gemeinsam mit seiner Frau Katharina
Pawlowna ein "jährlich am 28. September zu Kannstadt abzuhaltendes
landwirtschaftliches Fest", heute umgangssprachlich bekannt als
"Cannstatter Wasen".

M.Sc. Met. Stefan Bach
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 11.06.2016