Thema des Tages

07-10-2018 08:50

Numerische Wettervorhersage - Vereinfachtes Abbild der Atmosphäre und
der Erde

Unser abwechslungsreiches Wetter resultiert aus einer Vielzahl von
physikalischen Vorgängen in der Atmosphäre. Diese sind so komplex,
dass man sie selbst mit den größten Hochleistungsrechnern der Welt
nicht exakt berechnen kann. Deshalb verwendet man sogenannte
numerische Wettervorhersagemodelle. Dabei handelt es sich um
Computerprogramme, die die physikalischen Abläufe vereinfacht
beschreiben, um damit das zukünftige Wetter vorhersagen zu können.


Die entscheidende Vereinfachung ist, dass man den Zustand der
Atmosphäre nicht an unendlich vielen Punkten rund um den Globus
bestimmen kann. Daher werden die atmosphärischen Messgrößen wie Wind,
Luftdruck, Temperatur oder Niederschlag auf einem Gitternetz
berechnet. Je feiner die Maschenweite des Gitters ist, desto
kleinräumigere atmosphärische Prozesse können mit dem Modell
berücksichtigt werden und umso genauer wird letztendlich die
Vorhersage. Ist das Gitter hingegen zu fein, würde dies den Rahmen an
Rechenaufwand und Datenmenge sprengen (siehe Themen des Tages vom 10.
Mai und 6. Juli 2018). Als bestmöglichen Kompromiss verwendet das
globale ICON-Modell des Deutschen Wetterdienstes eine horizontale
Maschenweite von etwa 13 km. Verglichen mit Modellen aus früheren
Zeiten ist dies bereits ausgesprochen fein. Das Vorgängermodell GME
besaß im Jahre 2004 noch eine Maschenweite von 60 km und wurde erst
mit steigender Rechnerleistung mehrfach verfeinert.


Mit dem ICON-Modell können Hoch- und Tiefdruckgebiete sowie
Niederschlagsgebiete an Wetterfronten relativ präzise vorhergesagt
werden. Problematisch wird es jedoch bei kleinskaligen Phänomenen wie
einzelnen Schauer- oder Gewitterzellen, die meist unterhalb der
Größenordnung des Gitters liegen. Die komplizierten Prozesse
innerhalb eines Gewitters sind somit viel zu kleinräumig und können
vom Modell nicht direkt berücksichtigt werden.


Auch die Topografie ist für das lokale Wettergeschehen ein
entscheidender Faktor. Nicht umsonst findet man Weinanbaugebiete
zumeist an Berghängen, da diese sich tagsüber am stärksten aufheizen
und nachts von Kaltluftseen entlang der Talsohle verschont bleiben.
Allerdings sind die meisten Täler zu schmal, um vom ICON-Modell
aufgelöst zu werden. Jede Modellgitterfläche erhält nämlich nur die
mittlere Höhe innerhalb dieses Gebiets. Man kann sich die
Erdoberfläche im Modell also so vorstellen, als hätte ein großes
Bügeleisen alle Erhebungen und Vertiefungen glatt gebügelt, die eine
Ausdehnung von weniger als 13 km haben. So können
Berg-Talwind-Zirkulationen, die in Gebirgsregionen das
Wettergeschehen nicht selten maßgeblich beeinflussen, ebenfalls nicht
beschrieben werden.


All diese Effekte sind jedoch früher oder später sowohl für
kleinräumige als auch für großräumige Strömungen von Bedeutung.
Beispielsweise kann ein Gewitter das Wetter in der Umgebung deutlich
beeinflussen. Man entwickelt deshalb Verfahren (in der Fachsprache
Parametrisierungen genannt), die jene Prozesse, die zu kleinräumig
für das Modell sind, zumindest als gemittelte Änderungen des
atmosphärischen Zustands in einer Gitterfläche berücksichtigen. Jede
derartige Vereinfachung führt dennoch zu einer gewissen
Ungenauigkeit, die dafür mitverantwortlich ist, dass sich die
Qualität einer Wetterprognose mit fortschreitender Vorhersagedauer
verringert.


Möchte man nun genauer wissen, wie Gewitter oder lokale Windphänomene
das Wetter in der gewünschten Region beeinflussen, benötigt man ein
feineres Gitter, das nur einen kleinen Teil der Erde (z.B.
Mitteleuropa) überdeckt. Der DWD verwendet dazu das Lokalmodell
COSMO-D2 mit einer Maschenweite von etwa 2 km. Nun können
Berg-Talwind-Zirkulationen in mittelgroßen Gebirgstälern aufgelöst
und einzelne Gewitterzellen vereinfacht dargestellt werden. Einige
der im ICON benötigten Vereinfachungen (d.h. Parametrisierungen)
werden somit überflüssig. Aber auch dieses Modell stößt an seine
Grenzen. Jeder hat schon einmal festgestellt, dass es an heißen
Sommertagen über dunklen Asphaltflächen unerträglich heiß wird,
während es wenige hundert Meter entfernt am Flussufer deutlich
angenehmer ist. Dieser sehr kleinräumige Einfluss wird von COSMO-D2
nicht erfasst, ebenso wenig wie komplexe Windströmungen in engen
Häuserschluchten in Städten oder am Waldrand, um nur zwei Beispiele
zu nennen.


Selbst wenn in Zukunft die Modellgitter stets feiner werden, wird es
immer Effekte geben, die "durch das Gitter fallen". Man denke nur an
kleinste Turbulenzen, die beispielsweise den Rauch einer Zigarette
verwirbeln. So wird eine Prognose über viele Tage in die Zukunft nie
exakt sein. Sehen wir es aber positiv: Würde es keinerlei
Überraschungen mehr geben, wäre Wetter ziemlich langweilig und keiner
könnte mehr über die Meteorologen schimpfen!


Dipl.-Met. Dr. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.10.2018

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