Thema des Tages

16-10-2018 07:50

Mythos ?Flüsse sind Wetterscheiden?

Hin und wieder erreichen uns Anfragen von aufmerksamen Beobachtern,
die meinen, dass gerade große Flüsse wie zum Beispiel die Elbe oder
der Rhein eine Wetterscheide darstellen. Häufig wird dabei scheinbar
beobachtet, dass Gewitter ?Angst? vor dem Gewässer haben und den
Fluss dann lieber nicht überqueren. Stattdessen würden sie sich
auflösen oder ihre Zugbahn ändern.

Bei Gewittern unterscheidet man grundsätzlich zwischen Kaltluft- und
Warmluftgewittern sowie Gewitterfronten. Bei den Gewitterfronten
(auch bei Regenfronten) schieben sich riesige Massen kalter Luft wie
ein Keil unter warme Luft. Dabei sind unfassbar große Mengen an
Energie im Spiel, sodass sich Gewitterfronten keineswegs darum
scheren, ob sich unter ihr ein Fluss durch die Landschaft schlängelt.
Allenfalls große Gebirgszüge schaffen es diese Fronten zu
beeinflussen, denn sie zwingen die Luftmassen auf der windzugewandten
Seite (auch Luv genannt) aufzusteigen und dort ihren Wassergehalt
abzuregnen. Auf der windabgewandten Seite, also im Lee des Gebirges,
kann es dabei unter Umständen vollständig trocken bleiben.

Kaltluftgewitter entstehen, wenn sehr kalte Luft in großen Höhen
(etwa 5 km oder höher) über vergleichsweise warmes Land oder auch
über größere Seen oder das Meer ziehen. Dabei entstehen häufig
kleinräumige (Graupel-)Schauer und kurze Gewitter. Wenn im Herbst und
Winter in größeren Seen (Bsp.: Bodensee) oder Meeresbuchten (Bsp.:
Elbmündung) noch verhältnismäßig warme Wassertemperaturen
vorherrschen, kann es zum sogenannten "Lake-Effekt" kommen. Dabei
wird die Luft durch ihren Weg über das warme Wasser zusätzlich
erwärmt und angefeuchtet, wodurch sie mehr Auftrieb erfährt. Lokal
eng begrenzt können dann große Mengen an Niederschlag fallen, auch in
Verbindung mit kräftigen Gewittern. Im vergangenen Winter fielen
dabei Ende Februar im Ostseeumfeld strichweise 25 cm Neuschnee in
wenigen Stunden, Ende November des Jahres 2010 wurden in Ostholstein
sogar bis zu 38 cm registriert, was für chaotische
Straßenverhältnisse sorgte. Flüsse besitzen hingegen nur eine geringe
Ausdehnung (sofern sie nicht gestaut werden), sodass es hier nicht
für eine signifikante Erwärmung und Anfeuchtung der Luftmassen
reicht. Deshalb ist - zumindest dem Autor - kein Beispiel für einen
signifikanten Lake-Effekt durch einen Fluss bekannt. Ein Fluss stellt
also auch bei Kaltluftgewittern keine Wetterscheide dar, die Schauer
und Gewitter ziehen einfach darüber hinweg.

Im Sommer treten dagegen häufig Wärmegewitter auf. Dann heizt die
Sonne den Erdboden je nach Beschaffenheit auf und dieser erwärmt
wiederum die Luftmassen unmittelbar über dem Boden. Die aufgeheizte
Luft steigt in der Folge rasch auf, da warme Luft eine geringe Dichte
besitzt und somit leichter als kalte ist. Dabei nimmt die
aufsteigende Luftmasse viel Feuchtigkeit mit in die Höhe, die dann in
höher liegenden, kalten Luftschichten kondensiert. In der Folge
bilden sich Quellwolken, die bei geeigneten atmosphärischen
Bedingungen zu gewaltigen Gewitterwolken anwachsen können. Auch ein
solches Gewitter würde vor einem Fluss nicht zurückschrecken, da auch
hier gewaltige Mengen an Energie im Spiel sind. Wie viel Energie
überhaupt in einer Quellwolke steckt, würde wohl den Rahmen des
heutigen Artikels sprengen, soll aber am nächsten Dienstag an dieser
Stelle ausführlich behandelt werden.

Der einzige denkbare Einfluss, den ein Fluss auf ein Gewitter haben
könnte, liegt im Entstehungsort der Gewitter. Denn Wasser besitzt
eine höhere Wärmekapazität als Land. Somit erwärmt sich der Erdboden,
je nach Beschaffenheit, und die unmittelbar darüber liegenden
Luftmassen schneller, was die Entstehung von Wärmegewittern
begünstigt. Hat sich das Gewitter jedoch erst einmal ausgebildet, ist
die daran beteiligte Energie so gewaltig, dass auch geringe
Temperaturunterschiede zwischen Land und Fluss keinen Einfluss auf
die Zugrichtung des Gewitters nehmen. Entsprechend kann man ruhigen
Gewissens behaupten, dass Flüsse keine Wetterscheiden darstellen.

MSc.-Met. Sebastian Schappert
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 16.10.2018

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst