Thema des Tages

18-10-2018 08:20

Die beeindruckende Wandlungsfähigkeit der Natur

Jahreszeiten können je nach wissenschaftlicher Disziplin
unterschiedlich definiert werden. Bei der phänologischen Variante
werden diese durch die jeweiligen Wachstums- und
Entwicklungserscheinungen von Pflanzen festgelegt. Die
Vegetationsdaten werden bundesweit durch ehrenamtliche Beobachter
erfasst, an den Deutschen Wetterdienst übermittelt und beispielsweise
mittels der sogenannten "phänologischen Uhr" veröffentlicht. Demnach
befindet sich die Natur aktuell im Stadium des sogenannten
"Vollherbstes". Dieser begann 2018 im bundesdeutschen Mittel schon am
07. September und damit deutlich früher als anhand der langjährigen
Mittelwerte erwartet werden darf. Definiert ist diese phänologische
Jahreszeit durch das Reifen der Früchte der Stieleiche.

Generell zeigt sich dieses Jahr, dass fast alle phänologischen
Stadien im bisherigen Jahresverlauf deutlich früher starteten als im
langjährigen Mittel. Allerdings gibt es eine deutliche Ausnahme, denn
der Erstfrühling ließ 2018 länger auf sich warten. Die Forsythie als
Indikatorpflanze blühte nämlich erst ab dem 04. April und damit über
eine Woche verspätet. Ursächlich dafür war natürlich die kühle bis
kalte Witterung im März, wobei im Tiefland auch nochmal Schnee dabei
war. Aufgrund dieser Verhältnisse verzögerte sich die
Planzentwicklung deutlich. Die immense Leistungsfähigkeit der Natur
zeigte sich aber im folgenden April. Durch die rasant ansteigenden
Temperaturen und den ausgiebigen Sonnenschein entwickelte sich das
Blattwerk der Bäume in kürzester Zeit. Die Umgebung wurde dadurch zum
einen in sattes Grün getaucht und zum anderen sorgten die durch die
rasche Entwicklung gleichzeitig blühenden Bäume und Sträucher für ein
Farbenmeer. Der Entwicklungsrückstand des März konnte damit in
kürzester Zeit aufgeholt werden.

Die satte grüne Frühlingsfarbe resultiert aus der zunehmenden Bildung
des Chlorophylls (Blattgrüns) in den Pflanzenblättern. Dieser Vorgang
wird unter anderem durch die Lichtstärke gesteuert. Damit ändern sich
aber zwangsläufig auch im Herbst mit dem zunehmend tiefen Sonnenstand
und den niedrigen Temperaturen die chemischen Abläufe in den
Blättern. Das frische Grün verschwindet wieder langsam aus den
Wäldern und wird ersetzt durch gelbe, orange und rote Farben. Durch
diesen Mechanismus bereiten sich die Bäume auf den nahenden Winter
vor, denn in der kalten Jahreszeit muss aufgrund der gefrorenen Böden
der Wasserbedarf und damit die Verdunstung deutlich reduziert werden.
Diese Verringerung der Verdunstung wird am effektivsten mit der
Reduzierung der Blattoberfläche erreicht. Bei der herbstlichen
Blattverfärbung werden zudem Nährstoffe abgebaut und in Zweigen, im
Stamm oder im Wurzelwerk eingelagert.

Aufgrund des Abbaus des sonst dominanten Chlorophylls kommen nun
andere Farbstoffe hervorragend zur Geltung. Die Farbpalette reicht
dabei von den Karotinen (gelb, orange) über die Xanthophylle (gelb)
bis zu den Anthocyanen (rot, violett). Karotine und Xanthophylle sind
neben dem Chlorophyll an der Photosynthese beteiligt und waren daher
auch im Sommer von großer Bedeutung. Die für die beeindruckende rote
Färbung verantwortlichen Anthocyane werden hingegen erst im Herbst
gebildet. Neue Untersuchungen geben auch Hinweise darauf, dass diese
Farbpigmente quasi als UV-Schutz wirken. Bei der Photosynthese wird
nämlich unter Mitwirkung des Chlorophylls die Energie der
UV-Strahlung abgebaut. Aufgrund der herbstlichen Verringerung des
Blattgrüns würde nun ein erheblicher Energieüberschuss vorliegen, der
das Blattwerk nachhaltig schädigen könnte. Außerdem wird vermutet,
dass die rote Farbe auch der Abschreckung dient. Insekten sollen
davon abgehalten werden, ihre Eier in das Ast- und Blattwerk
abzulegen.

Die bunten Farben locken alljährlich auch viele Wanderer in die
Natur. Besonders dieses Jahr konnte aufgrund des langanhaltenden
Hochdruckwetters und den für die Jahreszeit sehr hohen Temperaturen
die beeindruckende Szenerie der Wälder ausgiebig genossen werden.
Diese Anziehungskraft wird zunehmend auch touristisch genutzt.
Angebote von sogenannten "Herbst- und Wanderwochen" hat mittlerweile
fast jede Region im Programm. In den Neuenglandstaaten der USA wurde
dieser Werbewert bereits früh erkannt. Der dortige "Indian Summer"
zieht alljährlich hunderttausende Besucher in die Region und ist ein
erheblicher Wirtschaftsfaktor. Den aktuellen Verfärbungsstand der
Ahornblätter kann man heutzutage sogar online nachverfolgen.

In Deutschland gehen die idealsten Wandertage mit ausgiebigem
Sonnenschein und tiefblauem Himmel nun gebietsweise aber langsam zur
Neige. Besonders in der Nordhälfte hält sich in manchen Regionen
hartnäckige hochnebelartige Bewölkung. Zudem sorgt ein Tiefausläufer
auch für höhere Wolkenfelder. Im Süden bleibt es dagegen nach der
Auflösung von lokalen Nebelfeldern beim Sonnenschein. Die
Temperaturmarke von 25 Grad wird nun aber nicht mehr erreicht. An der
Nordsee darf heute mit maximal 14 Grad gerechnet werden, am Oberrhein
sind es immerhin 23 Grad. Der weitere Temperaturtrend weist aber
überall eine sinkende Tendenz auf.

Mag.rer.nat. Florian Bilgeri
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 18.10.2018

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst