Thema des Tages

27-10-2018 10:20

Sintflutartiger Regen in Mittel- und Norditalien

Ab dem heutigen Samstag öffnet der Himmel über weiten Teilen Italiens
sowie dem südöstlichen Zipfel von Frankreich seine Schleusen und
flutet die genannten Regionen.

Wie so häufig in den letzten Monaten und Jahren stellt sich wieder
ein meridionales Strömungsmuster über Europa ein. Während sich auf
dem Atlantik ein kräftiges Hoch aufplustert und bis nach Spitzbergen
ausdehnt, macht sich von Nordwestrussland bis nach Nordafrika
hochreichend tiefer Luftdruck breit. Daraus resultiert schließlich
über dem Atlantik auf der Vorderseite des Hochs eine nördliche
Strömung. Dagegen stellt sich von der Iberischen Halbinsel bis nach
Russland eine stramme südwestliche Grundströmung ein.

Für den Mittelmeerraum steht dabei der bis in große Höhen reichende
Tiefdruckkomplex über der Westküste Spaniens sowie den Balearen im
Fokus, der sich in den nächsten Tagen allmählich nordwärts über die
Schweiz hinweg bis in die Nordsee verlagert. Auf dessen Ostflanke
strömt die Luft aus südwestlichen bis südlichen Richtungen vom
Mittelmeer direkt nach Italien. Für die heftigen und teils länger
andauernden Regenfälle dort sind dabei gleich mehrere Faktoren und
Prozesse verantwortlich.

Eine wesentliche Voraussetzung für heftigen Starkregen ist der
Flüssigwassergehalt einer Wolke. Umso wärmer nun die Luft ist, desto
mehr Wasser kann sie in Form von Wasserdampf bzw. Wolkentröpfchen
binden. Über dem westlichen und mittleren Mittelmeer findet die Luft
diesbezüglich derzeit sehr gute Bedingungen vor. Bei
Oberflächenwassertemperaturen von 20 bis 23 Grad kann die Luft von
unten ordentlich erwärmt und gleichzeitig mit Feuchte angereichert
werden. Nun muss nur noch der Stark- bzw. Dauerregen ausgelöst
werden. Dazu werden Hebungsprozesse, also aufsteigende Luftmassen,
benötigt.

Aufsteigende Luftmassen sind entweder in dynamischen, diabatischen
oder orographischen Prozessen begründet. Bei einem diabatischen
Hebungsprozess liegt zwischen warmen bodennahen und kalten höheren
Luftschichten eine größere Temperaturdifferenz vor, sodass
Umlagerungsbewegungen einsetzen. Die warme bodennahe Luft steigt auf
und die kältere Höhenluft sinkt ab. Je größer die
Temperaturunterschiede, desto stärker das Aufsteigen der Luft
(Hebung).

Dynamische Hebungsprozesse sind da wesentlich komplexer. Auf der
Vorderseite eines Höhentiefs liegen im Normalfall divergente, also
auseinanderlaufende Luftbewegungen vor, sodass Luft von tiefer
liegenden Luftschichten nach oben nachströmen muss. Je stärker die
Divergenz der Höhenströmung, desto mehr Luft muss von unten
nachgeführt werden. Weitere dynamische Hebungsprozesse gibt es an den
sogenannten Warm- und Kaltfronten. Während sich an einer Warmfront
die mildere Luft über die kühlere Luft schiebt und so typischen
Landregen auslöst, ist eine Kaltfront durch konvektive
Wettererscheinungen wie Schauer und Gewitter geprägt. Auch hier gilt,
je größer die Temperaturunterschiede der aufeinander treffenden
Luftmassen, desto stärker die Hebung.

Den dritten Hebungsprozess beschreibt das orographisch bedingte
Aufsteigen von Luftmassen an Gebirgen. Strömt die Luft gegen einen
Berg wird sie gezwungen aufzusteigen, um das Hindernis zu überwinden.
Natürlich kann die Luft auch um das Hindernis herumfließen, bei der
Größe der Alpen ist dies aber kaum möglich, sodass meist nur der Weg
über die Alpengipfel bleibt. Umso stärker der Wind gegen das
orographische Hindernis strömt, desto kräftiger ist auch die
erzwungene Hebung.

Egal, wie nun die Luft aufsteigt, durch die Abkühlung der Luft mit
der Höhe kondensiert der Wasserdampf zu kleinen Wolkentröpfchen und
fällt schließlich als Regen aus der Wolke hinaus zum Boden. Wie groß
nun die Tropfen werden, ist maßgeblich von der Stärke der
Aufsteigbewegung der Luft (Hebung) abhängig. Und da liefert die
Umsetzung der sogenannten latenten Energie einen wesentlichen Beitrag
(siehe künftiges Thema des Tages vom Mittwoch den 31. Oktober). Bei
der Kondensation von Wasserdampf in Wolkentröpfchen wird Energie
freigesetzt, die als zusätzlicher Sprit für die Hebungsprozesse
dient.

Über dem mittleren Mittelmeer und somit auch weiten Teilen Italiens
kommen gleich alle Prozesse zusammen. Einerseits presst die stramme
südwestliche bis südliche Strömung die Luft vom Meer auf das Land und
dann gegen die Apenninen sowie die Alpen. Entsprechend muss an der
Küste mit einer Niederschlagsverstärkung sowie an den Alpen mit dem
Einsetzen kräftiger, länger andauernder Niederschläge gerechnet
werden. Gleichzeitig entstehen durch die beschriebenen dynamischen
Hebungsprozesse sowie einem guten Entwicklungspotential großräumige
Gewittercluster, die sich von den Balearen über Sardinien und Korsika
bis nach Italien ziehen und heftigen Starkregen bringen.

Am heutigen Samstag sollen demnach an der Riviera, den Apenninen und
an der Alpensüdseite schon 24-stündige Regenmengen zwischen 30 und
80, exponiert durch Alpenstau auch bis 150 mm fallen. Zum Sonntag
sollen sich die Niederschläge nochmals intensivieren. Über 24 Stunden
werden demnach bis Montagmorgen an der Westküste Italiens und an den
Apenninen sowie an der Küste der Balkanstaaten 30 bis 120, örtlich
bis 180 mm erwartet. An den Alpen sind im gleichen Zeitraum 40 bis
140 mm, exponiert bis 200 mm möglich. Am Montag ist noch keine Ende
in Sicht. In den beschriebenen Regionen Italiens und des Balkans
werden nochmals 40 bis 140 mm, exponiert auch bis 200 mm in 24
Stunden prognostiziert. Über drei Tage hinweg sollen somit bevorzugt
an den Westküsten sowie den Südwest- bzw. Südstaulagen der Berge
Regenmengen verbreitet zwischen 100 und 300 mm, an den Alpen lokal
bis 500 mm oder mehr niedergehen (vgl. Graphik). Eine zusätzliche
Gefahr geht dabei von den Gewitterclustern aus, die einen Großteil
der Niederschläge in kurzer Zeit abladen können. So werden 100 mm
oder mehr in wenigen Stunden keine Seltenheit sein.

Dipl.-Met. Lars Kirchhübel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 27.10.2018

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