Thema des Tages

03-11-2018 09:50

Abstrakte Wolkenkunst an Allerheiligen

Satellitenbilder eröffnen uns immer wieder faszinierende Blicke auf
interessante und mitunter geheimnisvolle Wolkenformationen. Fast
schon abstrakt wirkende Wolkenkunst konnte am Nachmittag des
vergangenen Donnerstags (Allerheiligen) über Deutschland bewundert
werden (siehe Abbildungen). Zum einen erkennt man über
Westdeutschland ein gut strukturiertes und kompaktes Wolkengebiet,
das mit etwas Fantasie den Anschein eines Ölgemäldes hat. Dieses
Wolkengebiet zog im Laufe des Tages von Frankreich kommend über den
Westen Deutschlands nach Norden und hatte sogar leichten Regen im
Gepäck. Auslöser war eine schwache Tiefdruckstörung, die etwas Hebung
erzeugte und somit zur Bildung der Regenwolken führte. Über dem Osten
Deutschlands und dem östlichen Mitteleuropa wirkten die Wolken eher
wie schwungvolle Pinselstriche aus Wasserfarben. Hierbei handelte es
sich um relativ dichte hohe Wolkenfelder (Eiswolken, sogenannter
Cirrostratus), die sich durch starke Höhenwinde zu streifenförmigen
und federartigen Strukturen formten. Staub aus der Sahara regte zudem
die Bildung dieser Eiswolken an.


Die wohl markanteste Wolkenformation war allerdings über
Süddeutschland zu finden. Neben Ölfarbe und Pinsel kam hier scheinbar
noch die Schere zum Einsatz. Im Satellitenbild sah man eine wie mit
dem Lineal gezogene und förmlich mit der Schere abgeschnittene
Wolkenkante, die sich von der Mitte Deutschlands gen Süden
erstreckte. Während sich weite Teile Bayerns unter dem dichten
Cirrostratus befanden, schien auf der Westseite über Baden
Württemberg und Schwaben die Sonne von einem wolkenlosen Himmel.
Diese Wolkenkante zog am Nachmittag und Abend von West nach Ost über
Deutschland und konnte sich mit der Ostverlagerung weiter nordwärts
ausdehnen. Beim Überqueren lockerte die Bewölkung schlagartig auf und
man konnte selbst am Boden diese scharfe Wolkenkante beobachten
(siehe Fotos vom Hohenpeißenberg). Blickt man etwas über den
Tellerrand hinaus, kann die scharfe Linie bis in den Süden von
Algerien verfolgt werden, wo sie schließlich langsam an Kontur
verlor.


Die genaue meteorologische Erklärung dieser Wolkenkante ist gar nicht
so einfach. Ursache dafür ist das Eindringen trockener
Stratosphärenluft in die obere Troposphäre, eine sogenannte "Dry
Intrusion" (deutsch: trockenes Einmischen). Die Troposphäre ist die
unterste Atmosphärenschicht, in der salopp gesprochen "das Wetter
stattfindet", in der also Wolken und Regen entstehen. Sie erreicht in
unseren Breiten im Durchschnitt eine Mächtigkeit von etwa 11
Kilometern. Während die Troposphäre fast den gesamten Wasserdampf der
Atmosphäre enthält, ist die Luft in der sich darüber befindlichen
Stratosphäre außerordentlich trocken. Troposphäre und Stratosphäre
werden durch die Tropopause (Obergrenze der Troposphäre) voneinander
getrennt. Diese Schicht wirkt wie ein Deckel, der normalerweise
verhindert, dass sich Stratosphären- und Troposphärenluft vermischen.
Es gibt allerdings gewisse Stellen in der Tropopause, an der es der
Stratosphärenluft gelingt, in die Troposphäre einzudringen. Eine
dieser befindet sich auf der linken Seite des Jetstreams (s.a. Link),
einem schmalen bandartigen Starkwindfeld unterhalb der Tropopause.
Dieses Starkwindband formiert sich an der Polarfront, die (sub)polare
Kaltluft von gemäßigter oder subtropischer Warmluft trennt. Die
Polarfront und damit auch der dazugehörige Jetstream verlaufen in
wellenartigen Strukturen um die Nord- und Südhalbkugel, können sich
aber auch in mehrere Äste aufspalten und sie sind für den ständigen
Wetterwechsel in unseren Breiten verantwortlich.


Nach diesem Exkurs kommen wir nun zurück zur Wolkenkante. Am
vergangenen Donnerstag konnte Polarluft über Westeuropa bis nach
Nordwestafrika vordringen. Die Osthälfte Deutschlands lag zu dieser
Zeit auf der Ostseite der Polarluft, wo sich an der Polarfront in der
Höhe ein sehr schmaler, aber intensiver Jetstream ausbildete. Genau
im Bereich der scharfen Wolkenkante befand sich somit die oben
erwähnte Öffnung der Tropopause, an der eine intensive "Dry
Intrusion" stattfand. Die sehr trockene Stratosphärenluft konnte in
die Troposphäre eindringen und sorgte für ein schlagartiges
Sublimieren der Eiskristalle (Übergang vom festen in den gasförmigen
Zustand) und die Wolkedecke löste sich auf. Die "Dry Intrusion" ist
gut an zwei zeitgleichen Radiosondenaufstiegen zu erkennen (siehe
Abbildung). Während in München (unter Wolken) die gesamte Troposphäre
bis in eine Höhe von etwa 12 Kilometern feucht war (Taupunktkurve als
Feuchtemaß nah an Temperaturkurve), ist beim Stuttgarter Aufstieg
(wolkenloser Himmel) deutlich das Eindringen der trockenen Luft bis
in eine Höhe von etwa 6 Kilometern (große Differenz zwischen
Temperatur und Taupunkt) zu sehen. Dass die Wolkenkante über
Süddeutschland allerdings derart schnurgerade verlief, war nur eine
Laune der Natur.


Dipl.-Met. Dr. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 03.11.2018

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