Thema des Tages

07-11-2018 09:20

"Der Leuchtturm von Catatumbo"

Gewitter und ihre elektrischen Entladungen ziehen viele von uns
Vorhersagemeteorologen in der Zentrale des Deutschen Wetterdienstes
in ihren Bann. Hier im Rhein-Main-Gebiet treten solch blitzintensive
und ansehnliche Gewitter, wie auf dem Bild zu sehen (Quelle: Ingo
Bertram Photography), eher selten auf. Im Unterschied dazu gibt es
Orte auf der Welt, an denen es an über 200 Nächten im Jahr gewittert.
Eine dieser Regionen liegt südwestlich des Maracaibo Sees in
Venezuela. Dort bilden sich häufig sehr beständige Gewitter, wodurch
ebenda die weltweit höchste Blitzrate verzeichnet wird. Das Phänomen
wird u.a. als "Leuchturm von Catatumbo" bezeichnet. Der Catatumbo ist
ein Zufluss des Maracaibo Sees, der in dieser gewitterträchtigen
Region liegt. Es ranken sich zahlreiche Geschichten um den
"Leuchtturm von Catatumbo", blitzt es im Zuge der Gewitter doch zum
Teil über neun Stunden lang. Aber welche meteorologischen Bedingungen
liegen diesem Phänomen zugrunde?

Der Maracaibo See befindet sich im Nordwesten von Venezuela in einem
Tal, eingebettet zwischen den nördlichsten Ausläufern der Anden. Fast
das gesamte Jahr über herrschen im See relativ hohe
Wassertemperaturen zwischen 28 und 31 Grad mit einem Maximum im
September. Das warme Wasser stellt eine exzellente Quelle von Wärme
und Feuchte für Konvektion dar. Zudem liegt der See in der ITCZ, der
Innertropischen Konvergenzzone. Also jener Tiefdruckrinne in der Nähe
des Äquators, die sich durch ein stetiges Aufsteigen von Luftmassen
auszeichnet. Dadurch bilden sich in dieser Region besonders am
Nachmittag häufig Schauer und Gewitter. Des Weiteren sorgen spezielle
Effekte wie Berg-Tal-Winde oder Land-See-Winde für ein
Zusammenströmen der Luft über dem Maracaibo See bzw. in seiner
Umgebung. All diese Zutaten machen den See zu einem idealen Ort für
die Gewitterentwicklung, wobei die Entstehung tags wie nachts möglich
ist. Ein Maximum gibt es jedoch zwischen 19 Uhr abends und 4 Uhr früh
mit einer Blitzrate von durchschnittlich 28 Blitzen pro Minute.
Tagsüber erwärmt sich das Land durch die Sonneneinstrahlung stärker
als das Wasser im See, wodurch eine Land-See-Windzirkulation
angefacht wird. Über dem Land steigt die Luft auf, während sie über
dem See absinkt. Darüber hinaus erwärmen sich die Berghänge schneller
als das Tal, wodurch sich ein Talwind mit Absinken in den Tälern
einstellt. Beides bremst die Konvektion über dem See, was nicht
bedeutet, dass es tagsüber keine Schauer oder Gewitter gibt. Die
meisten Gewitter, die am Tage entstehen, bilden sich aufgrund
zusammenströmender Luft in der Nähe des Ufers (sog.
"Küstenkonvergenz"). Das Maximum an Gewittern gibt es aber
tatsächlich in den Nachtstunden. Denn während der Nacht kühlt sich
die Luft über dem Land stärker ab als die Luft über dem See.
Gleichzeitig kühlen sich die Berghänge im Vergleich zu den Tälern
schneller ab, wodurch die Luft von den Hängen hinunter zum See
fließt. Jetzt strömen also die Luftmassen über der warmen und
feuchten Umgebung des Sees zusammen: Das perfekte Setting für die
Bildung nächtlicher Gewitter ist gegeben.

Wird die Gewitterhäufigkeit im Jahresverlauf betrachtet, treten von
September bis Oktober sowie von Mai bis Juli die meisten Gewitter am
Maracaibo See auf. Dies geht einher mit dem sich abschwächenden
Karibischen Low-Level-Jet, einem Starkwindband in den untersten zwei
bis drei Kilometern der Atmosphäre. Dieses zeichnet sich durch
vorherrschende östliche Winde mit einem Windgeschwindigkeitsmaximum
über dem Karibischen Meer aus. Durch sein Vorhandensein erhöht sich
die vertikale Scherung (Änderung von Windgeschwindigkeit und
-richtung mit der Höhe) deutlich, was dazu führt, dass die Konvektion
in den Sommermonaten (Juni, Juli) und in den Wintermonaten bis in den
März hinein gedämpft wird. Andererseits ist dieser Low-Level-Jet in
den Monaten September bis November und im Mai schwächer, wodurch die
Gewitteraktivität verstärkt wird, denn mit nachlassender vertikaler
Scherung können sich mehr Luftmassengewitter über dem See bilden.

Die ausschlaggebende Voraussetzung für dieses großartige nächtliche
Schauspiel am Maracaibo See ist das Zusammenspiel einzigartiger
Topografie mit der Entstehung von Windsystemen und der beständig
feucht-warmen Umgebung des Sees. Diese Zutaten bieten den Gewittern
am Catatumbo das beste Futter und lassen den "Leuchtturm von
Catatumbo" noch lange Zeit strahlen.

Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 07.11.2018

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