Thema des Tages

14-11-2018 08:20

Im Schatten der Berge

Søren Jensen* genoss Mitte Oktober seinen Urlaub im kleinen Dorf
Tafjord in Westnorwegen. Am Abend des 13. Oktober 2018 trat der Däne
vor die Tür seines Ferienhauses. Vor dem Zubettgehen wollte er noch
einmal frische Luft schnappen. Der Schein der entfernten
Straßenlaternen spiegelte sich im Asphalt. Nieselregen spürte er in
seinem Gesicht und das Thermometer zeigte 11 Grad. Alles war ruhig
und kaum ein Lüftchen wehte. Er legte sich schlafen. Um 1:30 Uhr
erwachte er, schlurfte in die Küche und trank ein Glas Wasser. Den
Blick aus dem Fenster hätte er sich sparen können. Noch immer war es
trüb und Sprühregen schlug sich als dünner Film auf der
Fensterscheibe nieder. Alsbald schlief er wieder tief und fest, bevor
er kurze Zeit später durch einen heftigen Schlag aus dem Schlaf
gerissen wurde. Der Fensterladen prallte gegen die Hauswand. Jensen
schwitzte unter seiner Daunendecke. Ein warmer Wind durchstrich in
heftigen Böen das Zimmer. Jensen setzte sich in seinem Bett auf und
musste erst einmal zu sich finden. Er blickte zur Uhr, die ihm
suggerierte, es wäre kurz nach halb drei mitten in der Nacht. Immer
noch war es dunkel draußen. Woher aber kamen die Wärme und dieser
Sturm? Er schloss das Fenster und tapste zur Eingangstür. Das
Quecksilber im Thermometer war auf 25 Grad gestiegen. Ein stürmischer
Wind pfiff durch sein Haar. Am Himmel über sich konnte er zwischen
den Wolken unzählige Sterne erkennen. All die dichten, tiefhängenden
Wolken, der Sprühregen und die schlechte Sicht vom Abend zuvor waren
verschwunden. Stirnrunzelnd legte er sich wieder schlafen.

Um 8 Uhr erwachte er. Bald würde die Sonne über den Horizont steigen.
Hinter den Bergen war sie bereits zu erahnen. Es waren immer noch 25
Grad draußen und aus den Bergen wehte ein stürmischer Wind ins Tal.

Was Herr Jensen in der Nacht erlebte, erstaunte auch den einen oder
anderen Meteorologen. Zwischen 2 und 3 Uhr früh mitten in der Nacht
stieg die Temperatur innerhalb von nur einer Stunde um 14,2 Grad an.
Um 2 Uhr wurden noch 10,9 Grad registriert, um 3 Uhr waren es bereits
25,1 Grad. Doch wie kam dies zustande? Die Bewohner der Alpen kennen
dieses Phänomen nur zu gut. Anhand der Wetterdaten der Station
Tafjord leuchtete uns Meteorologen sofort ein, dass dies nur im Zuge
eines einsetzenden Föhns passiert sein konnte. Alle Wetterdaten
deuteten eindrucksvoll darauf hin: Der Wind drehte von nördlichen
Richtungen auf Südost und nahm schlagartig zu. Vor 3 Uhr wurden Böen
zwischen 5 und 20 km/h registriert. Ab 3 Uhr blies der Wind stark bis
stürmisch mit 65 bis 75 km/h. Die Luft trocknete aufgrund der
Winddrehung ebenso rasch ab und die Wolken rissen auf. Die relative
Feuchte sank von satten 95 Prozent innerhalb von nur einer Stunde auf
35 Prozent. Die beigefügte Grafik zeigt eindrücklich, wie sich die
Wetterbedingungen mit einem Schlag änderten. Informationen zur
Entstehung des Föhns finden Sie im Thema des Tages vom 10. September
2015.

Im Übrigen wurde die Tageshöchsttemperatur in Tafjord am 14. Oktober
2018 um 9 Uhr morgens erreicht. Mit 25,5 Grad wurde der Monatsrekord
um nur 0,1 Grad verfehlt.


*Name und Geschichte frei erfunden

Dipl.-Met. Julia Fruntke
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 14.11.2018

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