Thema des Tages

30-12-2018 09:50

Arktischer Streifschuss

Wie zum Jahresende üblich werden auch aktuell wieder Vorbereitungen
für das große Feuerwerk getroffen. Mit Böllern und Raketen wird das
neue Jahr begrüßt, laut und farbenfroh soll der Jahresübergang
gestaltet werden. Dabei könnte übersehen werden, dass auch die
Atmosphäre momentan dabei ist, alles für einen turbulenten Start ins
neue Jahr bereit zu legen.

Denn die Hauptdarsteller des erwarteten Schauspiels bewegen sich
schon seit geraumer Zeit auf der meteorologischen Bühne. Dies sind
einerseits das Hoch IGNATIUS, welches in den Wetterkarten des
heutigen Sonntags (30.12.) über Nordwestfrankreich und Südwestengland
anzutreffen ist, und das (typisch männlich?) eine gewisse
Jahresübergangsbehäbigkeit aufweist. Die zweite, deutlich mobilere
Hauptrolle spielt das Tief ZEETJE, das die Bühne zurzeit nahe Island
aufmischt und im Laufe des heutigen Tages dort Windgeschwindigkeiten
bis zur vollen Orkanstärke auf den Bergen bringen soll.

Die meteorologische Standard-Dramaturgie ist ZEETJE dabei relativ
egal, vielmehr scheint sie ein gewisses Improvisationstalent
mitzubringen, schließlich ist ihre Zugbahn alles andere als
gewöhnlich. Die Drehbücher der meisten Vorhersagemodelle lassen sie
von Island über das europäische Nordmeer nach Nordskandinavien
ziehen, wo sie genau zum Jahreswechsel ankommen soll. Danach, und das
ist durchaus ungewöhnlich, dreht ZEETJE nach Süden ab um am Mittwoch
den äußersten Westen Russlands zu erreichen.

Mit anderen Worten: ZEETJE legt in 3 Tagen etwa 4000 km zurück,
während IGNATIUS (was "der Feurige" bedeutet), sich nicht wirklich
brennend für Bewegung interessiert und es bis Mittwoch gerade mal zur
Irischen See schafft (was so etwa 500 km Verlagerungsdistanz
entspricht). Für uns entscheidend ist dabei, dass sich zwischen
IGNATIUS über Westeuropa und ZEETJE über Osteuropa eine stramme
Nordströmung einstellt.

Die "hohle Gasse", durch die die Kaltluft nach Süden muss, verläuft
dabei vom Bottnischen Meerbusen bis etwa ins Böhmische Becken - so
zumindest die aktuelle Vorstellung der Dramaturgen an den
Großrechnern der Wetterdienste. Damit bekommen wir in Deutschland
wohl nur einen arktischen Streifschuss ab, der vor allem die
Osthälfte trifft, im Westen (und auch bei den Eidgenossen in der
Schweiz) wird es zwar auch kälter, aber die Luft dort kommt "nur" vom
europäischen Nordmeer, nicht aber aus polaren Breiten (vgl.
angehängte Grafik).

Begleiterscheinungen des beschriebenen Schauspiels sind
Niederschläge, die besonders den Osten Deutschlands betreffen und die
mit und nach der Passage der Kaltfront von ZEETJE am Dienstag
zunehmend in Schnee übergehen. Dazu bringt die quirlige
Hauptdarstellerin, wie oben schon angedeutet, einen strammen Nordwind
(die griechische Göttin Boreas lässt grüßen), der in Hochlagen und an
den Küsten die volle Sturmstärke erreichen kann, und in exponierten
Lagen ist sogar "noch etwas mehr drin".

Da könnte man sich an die Schneekatastrophe in Norddeutschland
1978/1979 erinnert fühlen, die sich in diesen Tagen zum 40ten Male
jährt. Allerdings sind die erwarteten Neuschneemengen viel (!!)
geringer als damals.

Dipl.-Met. Martin Jonas
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 30.12.2018

Copyright (c) Deutscher Wetterdienst