Thema des Tages

17-02-2019 09:20

Oimjakon - das kälteste bewohnte Dorf der Welt?

Während in diesen Tagen in Deutschland bereits Frühlingsgefühle
aufkommen, ist es derzeit in Sibirien bitterkalt. Aber wie definieren
Menschen Kälte? In Deutschland kann die Temperatur in den
Wintermonaten in Großstädten durchaus auf Werte unter -15 Grad
Celsius absinken, vor allem in Tälern unserer Mittelgebirge und den
Alpen sind in manchen Dörfern in klaren Winternächten auch noch
deutlich tiefere Temperaturen möglich. Historische Daten belegen,
dass das Quecksilber in besonders strengen Wintern selbst in
Großstädten unter -30 Grad angezeigt hat (z.B. -31,6 Grad in München
am 12. Februar 1929).


Es kann aber auf unserer Erde noch viel kälter werden. Erst vor gut
zwei Wochen suchte eine extreme Kältewelle große Teile Nordamerikas
heim und war sogar in hiesigen Medien ein großes Thema. In einigen
Orten Kanadas und den USA fiel die Temperatur auf deutlich unter -40
Grad. Kräftiger Wind lies diese Temperaturen dabei noch um einiges
kälter anfühlen. Doch auch damit ist noch nicht das Ende der
Fahnenstange erreicht. Ein alljährlicher Kältepol ist Sibirien. Im
Nordosten von Jakutien (Russland) befindet sich das Dorf Oimjakon
(knapp 800 Einwohner, siehe Karte in angefügter Grafik). Dort steht
eine Wetterstation, die im Winter regelmäßig Temperaturen von unter
-50 Grad misst. Am 6. Februar 1933 wurde dort die bislang tiefste
Temperatur registriert: -67,8 Grad. Dies ist der offizielle
Weltrekord an einem bewohnten Ort. Manche Medienberichte stützen sich
auf -71,2 Grad aus dem Jahr 1926, allerdings gab es zu dieser Zeit
keine Temperaturmessung vor Ort und der Temperaturwert wurde von
Meteorologen geschätzt. In den vergangenen Nächten wurden in dieser
Region übrigens um -55 Grad gemessen, die bisher tiefste Temperatur
im aktuellen Winter 2018/19 betrug -55,9 Grad am Morgen des 15.
Januars.


Doch wie kommen solche extremen Temperaturen zustande?

Verantwortlich für die eisigen Temperaturen ist das sogenannte
"sibirische Kältehoch", welches sich jeden Winter etwa von Oktober
bis April ausbildet. Russland ist geprägt von großen Landmassen, die
über Sibirien häufig bereits im Oktober mit Schnee bedeckt sind. In
den immer länger werdenden Nächten kühlt die Luft im Gegensatz zum
Meer über den ausgedehnten schneebedeckten Flächen deutlich stärker
ab. Da kalte Luft schwerer als warme Luft ist, verbleibt die kalte
Luftmasse am Boden, breitet sich horizontal aus und der Luftdruck
steigt. In der Folge entsteht ein flaches (thermisches) Kältehoch.
Der Schwerpunkt dieses Hochs liegt im Mittel über Südsibirien. Fast
jeden Winter kommt es vor, dass Ableger des Hochs mit Kaltluft im
Gepäck in Richtung Osteuropa wandern. Mit einer östlichen Strömung
kann die russische Kälte dann in abgeschwächter Form manchmal auch
bis zu uns nach Deutschland gelangen - eine Kältewelle mit
Dauerfrost, sehr strengen Nachtfrösten und einem eisigen
(Nord-)ostwind wäre die Folge.


Welcher Ort ist kälter? Oimjakon oder Werchojansk?

Nicht nur in Oimjakon kann es extrem kalt werden. Am 5. und 7.
Februar 1892 hat auch eine Wetterstation in Werchojansk (etwa 640 km
Luftlinie von Oimjakon entfernt) die gleiche Temperatur gemessen
(-67,8 Grad). Seitdem "kämpfen" beide Dörfer darum, welches das
kälteste von beiden ist. Immerhin wirkt ein solcher Rekord
tourismusfördernd. Ich persönlich habe Oimjakon 2014 und Werchojansk
2017 besucht und die Einwohner beider Dörfer behaupten, dass sie
natürlich die Rekordhalter sind. Da beide Dörfer jedoch den gleichen
Temperaturwert halten, gibt es keine Möglichkeit zu entscheiden,
welches Dorf das kälteste ist. Zudem muss auch beachtet werden, dass
es weltweit deutlich weniger Wetterstationen gibt als Orte, in denen
Menschen leben, aber keine Messungen vorgenommen werden. Nach
Berichten von Einheimischen, die ich getroffen habe, gibt es Dörfer,
die im Winter bei klarem Himmel regelmäßig kälter sind als Oimjakon
oder Werchojansk, beispielsweise Delyankir und Yuchugey. Beide Orte
liegen in der gleichen Region wie Oimjakon und sind im Durchschnitt
nochmal 2-3 Grad kälter (z.B. Delyankir vergangene Nacht -56,7 Grad).
Alles in allem ist es unmöglich, den kältesten bewohnten Ort der Erde
zu finden. Meine persönlich tiefste Temperatur, die ich auf meinen
Reisen gemessen und erlebt habe, war übrigens -56 Grad. Ein
unbeschreibliches Gefühl und sehr schwer in Worte zu fassen. Wer -20
Grad aus Deutschland kennt und sich länger im Freien aufhält, weiß:
irgendwann schmerzen die Gesichtsmuskeln und die Nasenschleimhäute
können einfrieren. In Sibirien ist es genauso, nur dass dies
schneller eintritt.


Doch wie leben die Einheimischen mit der Kälte? Wie sieht der Alltag
aus? Dies und mehr wird in einem weiteren Thema des Tages
ausführlicher beantwortet.


Dipl.-Met. (FH) Sebastian Balders, in Zusammenarbeit mit Dr. Markus
Übel
Deutscher Wetterdienst
Vorhersage- und Beratungszentrale
Offenbach, den 17.02.2019

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